Weiter weg
Wildvögeln nicht durchgesetzt werden, ohne «gesellschaftliche Instabilität» zu riskieren, daher versuchten er und seine Gruppe stattdessen, die Käufer zu erziehen. «Unsere Botschaft bei unseren Werbeaktionen ist: ‹Wer Vögel liebt, sperrt sie nicht ein – lasst sie frei am Himmel fliegen›», sagte er. «Wir informieren die Leute auch über die ganzen Parasiten und Viren, die sie bekommen können. Wir versuchen, sie zu überzeugen, aber wir bedrohen sie auch!»
Shrike erklärte sich ziemlich widerwillig bereit, mit mir auf den Vogelmarkt von Nanjing zu gehen. Dort sahen wir in einem Gewirr von Gassen nördlich des Qinhuai-Flusses frisch gefangene Feldlerchen, die sich gegen die Gitterstäbe ihres Käfigs warfen. Wir sahen einen Jungen, der einen Spatzen an einer Leine zähmte, indem er ihm den Kopf streichelte. Wir sahen Berge von Vogelscheiße. Am wenigsten verstörten mich die Käfige mit Wellensittichen und Bronzemännchen, die vermutlich schon in Gefangenschaft groß geworden waren. Am nächstwenigsten verstörten mich die farbenfrohen Exoten – Fulvettas, Blattvögel, Yuhinas –, die aus einem geschädigten Wald im Süden geholt und nach Nanjing verfrachtet worden waren. Ich sah sie zwar nicht gern dort, aber sie wirkten nur halb real, weil ich sie in ihrem natürlichen Habitat gar nicht kannte. Es war wie der Unterschied zwischen dem Anblick eines obskuren Fremden in einem Porno und dem Anblick des besten Freundes: die verstörendsten Gefangenen waren die vertrautesten – die Kernbeißer, die Drosseln, die Sperlinge. Mich schockierte, wie viel kleiner und überhaupt abgerissener und geschwächter sie in den Käfigen aussahen als im Botanischen Garten. Es war genauso, wie Shrike zu Xiaoxiaoge gesagt hatte: dass ein Naturreservat einen Ort schützte. Nahezu im selben Maße, wie das Tier zum Ort gehörte, gehörte der Ort zum Tier.
Die beiden beliebtesten Wildvögel in Nanjing, beides Sänger, waren der winzige, edelsteinartige Japan-Brillenvogel und der bedauernswerte Huamei. Frisch gefangene Singvögel gingen für gerade mal einen Dollar fünfzig weg, aber nach einem Jahr Zähmen und Trainieren konnte ein einziger Vogel auch dreihundert Dollar erzielen. Die Brillenvögel waren in eleganten, halbwegs geräumigen Käfigen untergebracht. Man konnte sich wenigstens vorstellen oder es hoffen, dass die Haft sich ungefähr wie Hausarrest anfühlte. Die meisten Huameis, die ich sah, wurden dagegen in üblen Holzzellen mit massiven Wänden aufgezogen, so klein, dass das Tier sich darin kaum umdrehen konnte. An der Vorderseite war immerhin ein Fenstergitter, durch dessen Stäbe die Huameis mit ihren weißen Brillen stumm hinausblickten, während ihr Geldwert abgeschätzt wurde.
Das Erste, was David Xu mit seinen neuen Golfschlägern unternahm, war, dass er sie mir auslieh. Wir beendeten einen weiteren langen Tag («Erst die Arbeit, dann das Vergnügen») mit einem Besuch des älteren der beiden Golfplätze von Ningbo. Die Luft wurde zwar stündlich schlechter, doch wir gelangten schließlich in einen hübschen Teil der Stadt. Auf einmal war es auf den Straßen weniger voll, der Ackerbau wirkte etwas fakultativer, der Bauschutt war diskret verborgen statt einfach an den Bordstein gekippt, die Reklametafeln versprachen Neubauten mit Namen wie Tuscany Lake Valley. China ganz allgemein – mit seinem ungestümen Streben nach Geld, mit seinen sagenhaften Millionären, einer riesigen Unterschicht und einem durchlöcherten sozialen Sicherungsnetz, mit seiner sicherheitsbesessenen Zentralregierung, die geschickt den Nationalismus ausnutzte, um ihre Kritiker zum Schweigen zu bringen, mit Wirtschafts- und Umweltvorschriften, die inzestuösen Konsortien aus Unternehmen und Gemeinderegierungen übertragen waren –, dieses China hielt ich längst für den republikanischsten Ort, an dem ich je gewesen war. Und hier, eingebettet zwischen einem streng geschützten Bergwald und der strahlend blauen Süßwasserweite des Dongqian Hu – wörtlich: Ostgeld-See –, lag der Ningbo Delson Green World Golf Club.
Den Platz hatte ein pensionierter Geschäftsmann angelegt, der 1995 von einer chinesischen Stadt zur nächsten geflogen war, um herauszufinden, was er mit seinem Reichtum anstellen könnte. In einem Düsenjet Richtung Ningbo fiel ihm die Brille herunter; der Mann, der sie ihm aufhob, erwies sich als der Bürgermeister von Ningbo. Ningbo hatte unlängst beschlossen, dass es einen Golfplatz brauchte, und war bereit,
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