Weiter weg
akzeptierten, um näher bei ihrer Familie zu sein. Natürlich profitiert Ji finanziell von niedrigen Löhnen und geringer Arbeiterfluktuation, aber er ist der Überzeugung, dass auch die Gesellschaft daraus Nutzen zieht – weil Ehen gestärkt und die Kinder besser versorgt würden, wenn die Eltern näher am Wohnort lebten, und dass es für China ein nachhaltigeres Wirtschaftsmodell sei, die Fabriken zu den Landarbeitern zu bringen statt die Landarbeiter zu den Fabriken.
Ji zeigte mir eine selbstentwickelte Robotermaschine, die Kunstfell mit Lasern schneidet. Bei einem kleineren Gegenstand wie dem Papageitaucher wird der Stoff per Hand geschnitten. In der Design-Abteilung zeigte man mir, wie die Stücke, mit der Innenseite nach außen, maschinell zusammengenäht werden, wie man die spitzen Plastikstiele der Tieraugen durch das Fell stößt und mit Unterlegscheiben befestigt und wie man das Tier dann dramatisch umstülpt – sodass aus langweiligem Stoff ein pelziger Freund wird. Durch eine Öffnung am Rücken wird Polyesterflaum in seinen Kopf gestopft, die Öffnung per Hand zugenäht, jede Naht beschnitten, das Fell gebürstet und ein Daphne’s-Etikett angesetzt. Für den gesamten Prozess benötigt eine Arbeiterin durchschnittlich zwanzig Minuten. Ji überreichte mir drei fertige Papageitaucher, einen davon zierte der Name meines Bruders.
«Ich könnte mir denken, dass in China ein Panda als Haube beliebt wäre», sagte ich beiläufig.
«In China?» Ji lachte kopfschüttelnd. «Die Chinesen wollen vielleicht einen Seeadler als Schlägerhaube. Oder das Gesicht von George Bush.»
Als Liberaler mit schlechtem Gewissen empfand ich eine gewisse Enttäuschung darüber, dass ich nicht auf größere Industriesünden bei der Produktion meines Papageitauchers gestoßen war. Seine amerikanische Anbieterin war eine Tiernärrin, sein chinesischer Hersteller ein Modellbürger. Nicht einmal der Verschmutzungsaspekt war offenkundig schrecklich. Eine Woche davor hatte ich in Nanjing zwei Fabriken besucht, die zu Nice Gain gehörten, einem Marktführer bei Fellimitaten (oder, wie es in der Branche heißt, «Polware»), und von bestimmten Vorteilen erfahren, die synthetische Fasern gegenüber natürlichen haben. Das Nice Gain’sche Fellimitat beginnt als großer, baumwollartiger Ballen Acrylfaser, aus Japan importiert, der zu einem flauschigen Faden kardiert und in computergesteuerte Jacquardwebstühle eingeführt wird, die ihn zu breiten, streichelweichen Fellbahnen verarbeiten. Das Rohmaterial der Acrylfaser ist in erster Linie Erdöl – also keine durstigen Baumwollfelder, keine Überweidung und eine bessere Verwendung von Öl als bei der Verbrennung in Gelände-Jeeps –, und der Färbeprozess ist bei Acryl viel sauberer als bei Wolle oder Baumwolle, die mit diversen Proteinen kontaminiert sind. «Wenn die Farbe, die da herauskommt, schmutzig ist, können wir das Produkt nicht exportieren; es bedeutet, mit der Farbe hat man es vergeigt», sagte der Direktor von Nice Gains, Tong Zheng. Da Zheng wie Ji Marktführer war und sich einen sauberen Betrieb leisten konnte, kaufte er seine Naturfasern vorgefärbt und stellte seinen Zulieferern gar keine Fragen zum Färbeprozess. («Eines weiß ich», sagte er. «Wenn man es nach Vorschrift macht, ist man der wettbewerbsuntauglichste Player auf dem Markt. Als guter Bürger ist man da bald nicht mehr im Geschäft.») Das Fell meines Papageitauchers bestand gänzlich aus Acryl, und wenn die Acrylfaserfabrik in Japan auch nur annähernd der in Cixi entsprach, die von den Teenagern geleitet wurde, gab es dort auch keine großen Umweltsünden zu entdecken. Der Papageitaucher war offenbar doch ein luxuriöseres Ding, als ich gedacht hatte.
Ich fragte Ji, wie er selbst zu Tieren stehe, wo er doch Hersteller von Spielzeug sei, das Tiere abbilde. Darauf erzählte er mir die Geschichte von einem der Schweine, die seine Familie gehabt hatte, als er ein Junge war. Dieses Schwein, sagte er, habe gelernt, sich durch den Schlamm und das Stroh seines Kobens hindurchzugraben und auszureißen. Schließlich sei sein Vater wütend geworden und habe dem Schwein das Maul mit drei, vier Eisenringen durchstochen, woraufhin es nie wieder ausgerissen sei. «Heute ist das ein Running Gag zwischen mir und meinen Kindern», sagte Ji. «Ihr solltet euch lieber keinen Ring durch die Nase oder den Bauchnabel stecken, weil mich das sonst an mein Schwein erinnert!»
Nasenringe geben Grund zur Sorge, weil seine
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