Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)
sie kaum drei freie Stunden am Tag erübrigen konnte, war ihr die Fertigstellung des Kleids besonders wichtig geworden. Der Rock, der beinahe zweieinhalb Meter im Durchmesser aufwies, erforderte einiges an Näharbeiten, und das enge Mieder mit den gebauschten Ärmeln und dem weiten Ausschnitt war von einem komplizierten Schnitt, an den sich Rose bisher noch nicht herangewagt hatte. Selbst jetzt noch musste sie kichern, als sie daran dachte, wie Abdullah die Seiten des zwei Monate alten Katalogs eines Kaufhauses aus Sydney durchgeblättert hatte. Er hatte sorgfältig jede Seite betrachtet, und als er auf diesen Entwurf gestoßen war, hatte er laut aufgeschrien, als hätte er eine wundersame Entdeckung gemacht.
» Das ist es, Rose. Dieses Kleid wäre ausgesprochen elegant.«
» Ausgesprochen elegant«, wiederholte Rose und betastete die grüne Seide, die auf ihrem Bett lag. Seine Finger hatten ihre Hand berührt und waren über die zarte Haut an ihrem Ellbogen geglitten.
Sie hatte keinen klaren Gedanken mehr fassen können, und es war ihr den ganzen Vormittag über schwergefallen, sich zu konzentrieren. Ja, sie hatte sogar auf eine intimere Umarmung gehofft. Noch heute, vier Tage danach, spürte sie seine Lippen auf ihrer Haut. Abdullah musste doch wissen, dass er sie in den Wahnsinn trieb.
Aber in einer Stunde gab es Abendessen, und sie hatte jetzt keine Zeit zum Träumen. Rose goss Wasser aus einer Porzellankanne in ein dazu passendes Becken, gab ein paar Tropfen Lavendelöl dazu und begann, sich zu entkleiden. Es war ein Glück für sie, dass Abdullah nur ein Interesse am Transport der Wolle von Wangallon hatte und nicht an der Schafzucht. Sie wrang den Leinenwaschlappen sorgfältig aus, bevor sie Seife darauf gab und sich Gesicht, Hals und Unterarme wusch. Wenn er ein solches Interesse an Schafen, Pferden oder den Vorgängen im Wollschuppen hätte wie sein älterer Bruder, dachte sie, dann würde ihre gemeinsame Zeit beschränkt sein. Sie zog den Waschlappen durchs Wasser und wrang ihn erneut aus, bevor sie damit über ihre Brüste und ihren Oberkörper rieb. Anschließend betrachtete sie sich kritisch in dem kleinen ovalen Spiegel über dem Waschtisch aus Mahagoni. Wenn sie doch nur ein bisschen Rouge von ihrer Mutter hätte, dachte sie und drehte ihr Gesicht hin und her. Ein wenig Farbe würde ihr sicher gut stehen, zumal sie heute Abend das rosafarbene Seidenkleid tragen wollte.
» Na gut.« Rose seufzte und löste ihre Haare. Da sie sie erst kürzlich gewaschen hatte, fielen sie ihr wie ein brauner Schleier über den Rücken. Sie ergriff ihre silberne Haarbürste und begann mit ihren gewohnten hundert Bürstenstrichen.
Während des Abendessens, das aus Känguruschwanzsuppe, gefülltem Lammbraten, Kartoffeln und grünen Erbsen bestand, debattierten Hamish und Abdul hitzig über die Vorzüge von Rindern und Schafen. Da Abdul ein Transportunternehmen hatte, hing sein Einkommen vom Wolltransport ab, doch Hamish erläuterte seinem Freund die zunehmende Bedeutung von Rindern.
» Es ist für jeden Landbesitzer wichtig, mehrere Standbeine zu haben, Abdul, und das gilt im Grunde für jedes Geschäft.« Hamish trank einen Schluck Wein. » Deshalb würden Sie gut daran tun, auch in andere Geschäftszweige zu investieren. Schafe werden nicht für immer die Haupteinnahmequelle des Landes sein.«
» Ich glaube, Mr Hamish«, Abdul neigte höflich den Kopf, » dass Sie viel von Ihrem Geschäft verstehen, aber was mein Unternehmen angeht«, er trank einen Schluck Wein, » nun, da gibt es gewisse Aspekte, in denen ich wohl mehr Erfahrung habe.« Er ergriff seine Serviette und tupfte sich die Lippen ab.
» Geschäft ist Geschäft, Abdul. Hören Sie auf meinen Rat und überlegen Sie sich gut, welche anderen Möglichkeiten Sie besitzen.«
Um das Streitgespräch zu beenden, fragte Rose: » Und wessen Meinung teilen Sie, Abdullah? Die Ihres Bruders oder die meines Gatten?«
» Keine«, erwiderte Abdullah. Seine Miene war undurchdringlich. » Ich diskutiere nicht darüber, was in den nächsten Jahren in Australien erfolgreicher sein wird, weil die Frage nicht zu beantworten ist. Jede Sache hat ihre Zeit und ihren Ort, und man kann entweder folgen oder anführen, indem man neue Wege sucht und dafür sorgt, dass man sein Auskommen hat.«
» Hört, hört!« Hamish schlug mit der Faust so fest auf den Tisch, dass das Silberbesteck auf den leeren Tellern klirrte.
Rose runzelte irritiert die Stirn und legte ihre Gabel, die zur
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