Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)
zog die Handbremse an. Er warf Sarah ein schiefes Grinsen zu. Er war in etwa so alt, wie Cameron jetzt gewesen wäre, wenn er noch leben würde, dachte Sarah. Zum ersten Mal war die Erinnerung an ihren Bruder nicht von einem überwältigenden Verlustgefühl begleitet.
» Ich stelle Ihnen meine Familie vor.«
Mrs Macken war eine schlanke Frau mit wunderschönem Teint. Ihre grünblauen Augen blitzten, wenn sie lächelte, und das Gesicht ihres Mannes wurde weich, wenn er sie anblickte.
» Jim hat uns von Ihrer Notlage erzählt, Sarah. Wir hoffen, Sie erlauben uns, uns ein bisschen um Sie zu kümmern, solange Sie hier festsitzen«, sagte sie zu Sarah.
» Oh, vielen Dank. Alle sind so nett zu mir, seit ich in Tongue angekommen bin.«
Robert Macken nickte. Er reichte ihr einen Becher mit dampfendem Kaffee und einen harten Gerstenkeks. Eine schrille Pfeife ertönte, und Sarah folgte den Mackens zu dem alten Truck, wo sie sich an die Haube lehnten. Die Zuschauer, unter denen nur wenige Frauen waren, hatten sich um ein großes Paddock versammelt. Am hinteren Ende, oben auf einem Hügel, standen zwei Männer, die durch die Entfernung eher an Strichmännchen erinnerten, neben einer Lücke in einer Steinmauer. Auf halber Strecke nach unten befand sich ein freistehendes Tor und ein Stück weiter ein Pfosten. Kaum fünfzig Meter entfernt, nahe an der Stelle, wo Sarah mit den Mackens stand, war ein kleiner Schafstall. Sarah schlug sich den Kragen ihrer Jacke hoch, und Robert Macken setzte sich zum Schutz vor dem Nieselregen eine Kappe auf. Seine grauen Augen standen ein wenig hervor. Er war stämmig und hatte einen kurzen Hals. In seiner dunklen Kleidung erinnerte er Sarah an einen missmutigen Hütehund.
» Und?«, fragte Sarah. » Finden die Hunde-Wettbewerbe hier immer wochentags statt?«
Mr Macken warf ihr einen leicht ungeduldigen Blick zu. » Hütehunde gehören zu unserem Leben, Mädchen. Der Tag, an dem so ein Ereignis stattfindet, ist unwichtig.«
Die Atmosphäre war ein wenig unheimlich, da Nebelschwaden sich auf alles legten. Sarah dachte an Jims Worte in der Ruine. Es musste schrecklich sein, sich hier im Nebel zu verirren und auf den Felsen umzukommen, nur den scharfen Wind von den Lochs als Begleiter.
» Wo ist Jim?«
Robert Macken nickte zur Weide hinüber.
Oben auf dem Hügel tauchten Schafe auf. Ein Mann mit glänzend schwarzen Gummistiefeln, der von Kopf bis Fuß in Tweed gekleidet war, tätschelte einem großen schwarz-weißen Hütehund, der neben ihm saß, den Kopf. Der Hund kratzte sich gähnend und legte sich dann hin. Zuerst dachte Sarah, es seien Zuschauer, aber als die Pfeife zum zweiten Mal ertönte, war der Hund verschwunden.
Er rannte den Hügel hinauf auf die Schafe zu, sammelte sie und führte sie hinunter. Der Hundebesitzer gab verschiedene Kommandos mit seiner Pfeife, als die vier Schafe auf das offene Tor zuliefen.
» Er muss sie beim ersten Versuch genau mitten durch führen.« Robert Macken kaute an seiner Pfeife.
Die Schafe blieben stehen und drehten um, und der Hundebesitzer gab eine Reihe von verbalen Kommandos. Beim zweiten Mal liefen die Tiere durch das Tor auf den Pfosten zu. Erst jetzt hörte Sarah den Hund bellen.
» Sie müssen rechts an dem Pfosten vorbei«, erklärte Robert Macken Sarah. Er kratzte sich nachdenklich das Kinn.
Der Hund führte die kleine Herde geschickt um den Pfosten herum und trieb sie zum Stall. Der Regen wurde heftiger. Sarah hielt den Atem an, als der Hundebesitzer zum Stall lief und die Tür öffnete. Leider jedoch verlor der Hund die Kontrolle, und die Schafe flohen in alle Richtungen. Dreimal trieb er sie zum Stall, und dreimal brachen sie wieder aus. Schließlich war die Zeit überschritten, und ein Pfiff ertönte. Der Hund lief niedergeschlagen zu seinem Herrn, der ihn sanft am Kopf tätschelte.
» Und, was meinen Sie, Sarah?«, fragte Mr Macken.
» Es war toll. Der Hund war großartig, und dieser Hundebesitzer hatte ihn gut im Griff.«
Mr Mackens Mundwinkel zuckten. » Der nächste wird Sie sicher interessieren, Mädchen.«
Ein paar Meter von ihnen entfernt hockte Jim, die Hand auf den Nacken eines kleinen Schäferhunds gelegt. In einer Hand hielt er einen langen Holzstab, dessen oberes Ende gebogen war, beinahe wie der Stab in Sarahs altem Buch mit Kinderreimen. Er blickte auf und zwinkerte Sarah zu. Sie zwinkerte zurück. Der Hund drehte sich instinktiv zu ihr, und sie zwinkerte auch ihm zu. Jim lachte, als die Pfeife ertönte.
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