Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)
er geschrieben hatte, und rief nach dem Jungen. Hastig kam der kleine Kerl die Treppe hinaufgelaufen, um dann mit den Briefen und einer weiteren Münze in der Hand in der Dunkelheit zu verschwinden. Der erste Brief war an Hamish Gordon gerichtet und berichtete von den Fortschritten, die Claire Whittaker machte.
Abdullah entschuldigte sich auch taktvoll für eventuelle Missverständnisse, während er Hamish gegenüber vorsichtig den Wunsch äußerte, dass Rose ein glückliches und sicheres Leben führen möge. Falls Hamish Gordon diesen Hinweis als versteckte Drohung verstehen wollte, nun, dann war es eben so. Abdullah grinste.
Den zweiten Brief kannte er Wort für Wort auswendig.
Meine Rose,
ich kann mir kaum vorstellen, wie sehr Sie seit meiner Abreise gelitten haben müssen. Ich kann Ihnen nur versichern, dass ich nichts als Ihr Glück möchte. Ich muss Ihnen jetzt etwas Schockierendes berichten, wenn ich auch nur über spärliche Informationen verfüge und sicher nicht wagen würde, die guten Absichten Ihres Gatten anzuzweifeln.
Ihr Gatte ist der geheime Wohltäter einer Miss Claire Whittaker und ihres alten Vaters. Sie wohnen in einem Reihenhaus in Sydney, und Ihr Gatte sorgt für alles, was in einem Haushalt benötigt wird.
Ich sage » geheim«, weil die Whittakers die Identität ihres Wohltäters nicht kennen und meines Erachtens gute, ehrenwerte Leute sind.
Ich erzähle Ihnen dies als Angebot meines guten Willens. Mögen Sie die Informationen nutzen, wie es Ihnen richtig erscheint.
Möge Allah seine schützende Hand über Sie halten.
A. Abishara
Als Abdullah sich zum Gehen wandte, drang das Messer tief in seine Brust. Einen Moment lang wusste er nicht, wo er war, dann packte seine Hand die Bettdecke, als er zu Boden stürzte, und der fadenscheinige braune Stoff glitt über ihn und versperrte ihm die Sicht. Er spürte, wie sein Atem stockte, hörte ein Rauschen in seinen Ohren. Zwei Männer redeten mit gedämpften Stimmen miteinander, und dann spürte er nichts mehr.
» Sag Mr Reynolds, der Job ist erledigt.« Der größere der beiden wischte sein Messer an seiner Hose ab. Er beugte sich über Abdullah und zog ihm die Taschenuhr mitsamt der Kette aus der Westentasche. Er klappte den Deckel auf und betrachtete die feine Gravur auf der Innenseite. » Gib ihm das hier. Sein Name steht darauf.«
Sommer, 1867
Wangallon Station
Für gewöhnlich durchsuchte Rose die Post ihres Mannes nicht. Es war nur so, dass sie schon lange nichts mehr von ihrer Elizabeth gehört hatte. Normalerweise hatten sie sich in den letzten zwei Jahren jeden Monat geschrieben, und es bedeutete Rose viel, zu sehen, wie die Schrift ihrer Tochter immer erwachsener wurde. Elizabeth konnte mittlerweile über Themen schreiben, die über die Schule hinausgingen, und beschrieb häufig neue Kleider, ein Stück Spitze oder die Auseinandersetzungen mit ihrer Großmutter. Rose beneidete ihre Tochter um das Leben in Ridge Gully, das viel aufregender war als ihre Existenz hier in der Wildnis. Aber dann musste Rose zu ihrem Entsetzen feststellen, dass die Briefe ihrer Tochter seltener wurden. Die Entfernung trug zu ihrer Entfremdung bei.
Pflichtbewusst legte Colleen die Post, die alle vierzehn Tage kam, auf den Tisch in der Diele, damit Mrs Cudlow sie verteilen konnte. Es war immer ein Ereignis, dachte Rose, auf das sie sich sehr freute, aber dann war die Enttäuschung umso größer, wenn kein Katalog aus dem Warenhaus in Sydney eintraf oder Elizabeth nicht umgehend auf den letzten Brief der Mutter geantwortet hatte.
Heute jedoch war Rose nicht in der Stimmung, auf die rituelle Briefzuteilung zu warten. Dadurch, dass sie kaum noch etwas zu sich nahm, war auch ihre Geduld auf dem Nullpunkt angelangt. Sie schlich sich aus ihrem Zimmer und sah die Post durch. Der größte Teil bestand aus Rechnungen und drei Wochen alten Zeitungen. Von Elizabeth war wieder kein Brief dabei. Gerade wollte Rose sich enttäuscht wieder in ihr Zimmer zurückziehen, als sie einen cremefarbenen Umschlag bemerkte, der an sie adressiert war. Hastig ergriff sie den geheimnisvollen Brief und riss ihn auf, um ihn zu lesen. Vielleicht stammte er ja von einer früheren Freundin aus Ridge Gully. Ab und zu trafen solche Briefe ein, und für gewöhnlich erfuhr sie dann von dem einen oder anderen kleinen Skandal, den sie früher auf ihren Teegesellschaften besprochen hätte. Freude durchströmte sie, als sie den wahren Absender des Briefes erkannte.
» Wir haben sie im Flur
Weitere Kostenlose Bücher