Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)
wandte der Hund ihm die volle Aufmerksamkeit zu. Er wedelte heftig mit dem Schwanz und blickte von Jim zu den Schafen. Jim beugte sich vor und schien ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Der Hund stand ganz still. Die Pfeife ertönte zum zweiten Mal, und der Hund war weg. Sarah hatte noch nie ein Tier so schnell rennen sehen. Selbst der alte Hund ihres Großvaters, Shrapnel, war in seiner Jugend nicht so schnell gewesen. Der schwarze Körper raste wie ein Pfeil auf die Schafe zu, umrundete sie und trieb sie den Hügel herunter. Sarah warf den Mackens begeisterte Blicke zu, und als sie sich wieder zum Hügel wandte, war die kleine Herde bereits durch das Tor und umrundete gerade den Pfosten.
Jim war bereits am Stall und hatte das Gatter geöffnet. Es regnete mittlerweile so heftig, dass Sarah das Geschehen auf dem Hügel nicht mehr sehen konnte. Wartend stand sie da und versuchte, durch die Regenwand etwas zu erkennen. Und dann hörte es auf einmal auf zu regnen, Jim hockte wieder neben seinem Hund und redete mit ihm, und die Schafe befanden sich im Stall. Sarah klatschte laut Beifall.
Mrs Macken spielte nervös mit ihren Handschuhen, als Jim sich erhob und mit einem bebrillten Mann mit braunem Anzug und dunkelbraunen Lederreitstiefeln sprach.
» Und? Was ist das Ergebnis?« Sarah streichelte den tropfnassen Hund an Jims Seite, als die beiden kurz darauf an den Truck traten. » Du bist ja ein toller Hund! Fantastisch!«
» Pass auf, Sarah.« Jim lachte. » Wenn du ihn so überschwänglich lobst, bildet er sich nachher noch etwas ein.«
» Das hat er auch verdient. Möchtest du nicht zu mir nach Australien kommen und für mich arbeiten?«
Der Hund blickte sie an und trottete dann zum Wagen.
Jim schmunzelte. » Nun, da hast du deine Antwort.«
» Einen Versuch war es wert.« Sarah grinste. » Außerdem ist bei uns das Wetter besser. Und was passiert jetzt?«
» Nichts. Ich bin disqualifiziert.«
» Was? Warum?«
» Die Richter konnten weder meinen Hund noch die Schafe oder den Stall sehen. Und was sie nicht sehen können, können sie auch nicht beurteilen.«
» Das ist doch lächerlich! Wo ist der Richter? Ich gehe und rede mit ihm.«
» M’am?«
Sarah drehte sich um. Ein gut gekleideter Mann stand hinter ihr.
» Eliot, Eliot Andrews.«
Sarah ergriff die ausgestreckte Hand und schüttelte sie.
Er war Mitte sechzig, hatte schüttere Haare und einen Schnurrbart. » Sie sind also Sarah Gordon. Ich bin Ihrem Vater einmal begegnet. Ronald, nicht wahr? Ich habe von Ihrem Missgeschick gehört. Wenn ich etwas für Sie tun kann, rufen Sie mich bitte an.« Er neigte den Kopf.
Erstaunt stammelte Sarah: » Sie kennen meinen Vater?«
» Du hast mir gar nicht gesagt, dass er auch hier war«, unterbrach Jim.
Mr Andrews räusperte sich. » Kennen ist zu viel gesagt. Ich bin ihm vor vielen Jahren begegnet, und wir haben ein paar Mal zu Abend gegessen und uns unterhalten. Sie wollten etwas fragen, Sarah?«
» Ja, genau. Ich habe mich darüber gewundert, dass Jims Hund disqualifiziert worden ist.«
» Ja, natürlich. Der Hund muss zu jedem Zeitpunkt deutlich zu sehen sein. Allerdings können wir das Wetter nicht vorhersagen, schließlich sind wir hier in Schottland. Aber Regeln sind nun mal Regeln. Korrekt, Junge?«
» Korrekt, Mr Andrews«, erwiderte Jim knapp und entschuldigte sich.
» Ich hoffe, Sie genießen Ihren Besuch, Sarah. Aber verschwenden Sie nicht Ihre Zeit an einem Ort mit diesen ungehobelten Leuten.« Er musterte sie und wandte sich dann mit einer leichten Verbeugung zum Gehen. Als die Pfeife ertönte, ging Sarah wieder zurück zu Jims altem Wagen. Mrs Macken reichte ihr lächelnd einen Becher mit dampfendem Kaffee.
Sommer, 1867
Sydney Cove, Hafenbezirk
Abdullah schloss den Deckel seiner Truhe. In seiner Unterkunft gab es jetzt keine Spur mehr von seiner Anwesenheit. Nichts an Bett, Sekretär, Stuhl und Schrank deutete darauf hin, dass er in den letzten drei Wochen hier gewohnt hatte. Nur seine Briefe lagen noch auf dem hölzernen Sekretär, und sein Jackett hing über dem Fußende des schmalen Betts. Abdullah trat in den Flur der Pension und warf dem Jungen, der sich an der Holzwand entlangdrückte, ein paar Münzen zu. Der schmächtige, zerlumpte Junge fing die Münzen geschickt auf, ergriff die Truhe und schleppte sie die Treppe herunter.
Sein Schiff sollte am Abend mit der Flut auslaufen, und Abdullah hatte es eilig, wegzukommen.
Ein letztes Mal sah er sich im Zimmer um, ergriff die Briefe, die
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