Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)
Wangallon verließ? Draußen heulte der Wind um das Haus. Sie zog die Vorhänge vor die Verandatüren und öffnete ihren Koffer. Sie würde morgen über alles nachdenken. Sie nahm ein paar Blusen und einen Pullover aus dem Koffer und öffnete die oberste Schublade ihrer Kommode. Dort, auf Anthonys blauem Schal, lag der goldene Armreif. Sie konnte sich nicht erinnern, ihn dort hingelegt zu haben. Sie nahm ihn in die Hand und betrachtete das Schmuckstück. Trotz einiger Dellen und Kratzer war es wunderschön gearbeitet, und sie fragte sich, warum es ihr früher trotz seiner einfachen Schönheit nie gefallen hatte. Gerade wollte sie den Reif über ihr Handgelenk schieben, als eine Diele knarrte. Sie legte es zurück in die Schublade, weil sie glaubte, Schritte zu hören.
Sie trat an die Tür aus Zedernholz und wollte sie schon öffnen. Das ist albern, schalt sie sich. Das alte Haus streckte sich, das hatte ihr Großvater doch schon gesagt. Trotzdem überlief sie ein Schauer, und sie legte sich bekleidet ins Bett und zog sich die Decke bis zum Kinn. Der Wind heulte ums Haus, und das Haus ächzte und stöhnte. Anthony ging, und ihr Großvater lag im Krankenhaus. Nichts war so, wie es sein sollte: Niemand war glücklich, und am allerwenigsten sie. Sie schloss die Augen, und das Geräusch von Schritten folgte ihr bis in die Träume.
Es roch nach Wolle und Mist, als Sarah den Wollschuppen betrat. Es war noch früh, und in den Höfen brüllten die Männer, die die Schafe für den Tag zusammentrieben. Der beißende Geruch nach Chemikalien lag in der Luft. Es war ein kalter Morgen, und ohne ihre Wolle froren die Schafe in dem eisigen Winterhauch. Wenn sie frisch geschoren aus dem Schuppen kamen, wurden sie in einem größeren Hof in einen Gang getrieben, der in einer Rampe über einem Becken endete. Dort wurden sie in eine Mixtur aus Wasser und einem Mittel gegen Läuse getaucht. Danach schwammen sie ans Ende des Beckens, schüttelten sich, wenn sie herauskamen, und wurden dann auf die Weide gelassen. Sarah erinnerte sich daran, wie einmal das Kleinkind von Gästen, die den Wollschuppen besichtigt hatten, beinahe in das Tauchbecken gefallen wäre.
Ihr Urgroßvater Hamish hatte den Wollschuppen renoviert. Es war ein riesiges Gebäude, das auf anderthalb Meter hohen Pfeilern ruhte, so dass auch darunter Schafe getrieben werden konnten, ebenso wie auf die umliegenden Höfe, die den Schuppen umgaben wie ein kompliziertes Spinnennetz. Von dem großen Balken, der quer durch das Gebäude verlief, hatten früher Petroleumlampen gehangen. Heute waren daran natürlich elektrisches Licht und Ventilatoren befestigt. Darunter, auf dem von Lanolin glatten Holzboden, befanden sich sechsundzwanzig Scherstationen, um den Tieren, die immer noch das Herzstück von Wangallon bildeten, die Wolle abzuscheren.
Ihr Urgroßvater würde staunen, wenn er die Veränderungen in diesem Jahrhundert sehen könnte, dachte Sarah. Die Wollpresse war jetzt elektrisch, ein glänzendes Metallmonster, das gar nicht zum Alter des Schuppens passte. Die Holzpresse von früher war verschwunden, und niemand brauchte mehr in der roten Tonne die Wolle zu treten, wie früher die Winzer die Trauben getreten hatten. Auch die Verpackung der Wolle in Sackleinen war Geschichte, heute benutzte man dazu synthetisches Material. Die Ansteckungsgefahr jedoch war nicht geringer geworden. Sarah blickte sich um. Alles war makellos sauber. Heutzutage wurden so viele Überprüfungen vorgenommen und niemand wollte riskieren, dass die Inspektoren Zigarettenkippen, leere Päckchen, Verpackungsmaterial oder auch einfach nur Schmutz fanden. Eine saubere Schur war unumgänglich. Die Tiere hatten schon mit genügend Problemen zu kämpfen. Staub und Ungeziefer nach einer schlechten Saison machten die Wolle matt und minderten die Qualität.
» Schon hier?« Colin musterte sie von oben bis unten.
» Und du bist immer noch hier«, erwiderte Sarah steif, die Hände in die Hüften gestemmt.
» Dank dir habe ich eigentlich meinen Job verloren. Allerdings ist es mir gelungen, als Scherer eingestellt zu werden.«
» Na, das ist ja eine Überraschung.« Ihr herablassender Ton verjagte ihn. Ein grimmiges Lächeln umspielte ihre Lippen, als er wegging. Wie sie Colin kannte, hatte er den anderen Scherern bestimmt schon Lügen über sie aufgetischt. Sie würde aufpassen müssen, dass sie nichts tat oder sagte, was jemandem Munition gab.
Anthony tippte sich an die Hutkrempe, als er an ihr vorbei in
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