Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)
den Maschinenraum ging. Sechsundzwanzig Scherer in allen Altersklassen folgten ihm. Manche nickten, manche ignorierten sie, manche grinsten. Sarah lächelte gleichmütig. Ganz hinten in der Reihe stießen sich zwei Männer mit den Ellbogen an und warfen ihr über die Schulter Blicke zu. Sie wusste, was sie dachten. Sie war die letzte Gordon, und sie rechneten nicht damit, dass sie bleiben würde.
» Keiner hat geglaubt, dich hier noch mal zu sehen.« Colin war wieder aufgetaucht.
» Ebenso.«
» Sie denken, der alte Knabe geht drauf. Was für eine Art, sich zu verabschieden. Na ja, und es war auch keiner von der Familie dabei, als es passiert ist. Nur Anthony.«
Sarah blieb ganz ruhig. Er wollte sie provozieren, um die Bewunderung der Männer zu erringen.
Er zog eine zerdrückte Schachtel Streichhölzer aus der Tasche und zündete sich eine Zigarette an.
Das Summen der elektrischen Maschine war bis hierher zu hören. Jeder Scherer ging zu seinem Gehege, jeder zog ein Schaf heraus, und sie begannen fast gleichzeitig zu scheren. Colin zog an seiner Zigarette und blies ihr den Rauch direkt ins Gesicht, dann ließ er die Zigarette zu Boden fallen und drückte sie mit dem Absatz seines Stiefels aus. » Sie sagen, Anthony erbt das Ganze.« Seine Stimme war über dem Geräusch der Maschine kaum zu hören. » Na, was anderes ist dem alten Knaben auch nicht übrig geblieben. Er kann die Farm ja nicht gut einer Frau vermachen.« Er zog sein rotes Notizbuch aus seiner Hemdtasche. » Außerdem ist deine Familie ja nicht gerade bekannt dafür, dass sie durchhält. Ich sage dir was«, fügte er mit schiefem Grinsen hinzu und schlug das Notizbuch auf. » Wir könnten ja darauf wetten…«
» Du solltest lieber auf etwas wetten, bei dem du gewinnen kannst, Colin«, erwiderte Sarah.
Er zuckte mit den Schultern und blickte ihr nach, als sie wegging. Eins war sicher: Wenn sie tatsächlich hier blieb, würde Anthony alle Hände voll zu tun haben, sollte sie jemals Boss werden.
In der Rauchpause fuhr Sarah zurück zur Farm. Sie hatte das Bedürfnis, mit Mrs Jamieson zu telefonieren. Hoffentlich war es in Schottland noch nicht zu spät, immerhin war Australien elf Stunden voraus.
» Mädchen, wie schön, von Ihnen zu hören.«
Sarah konnte sich vorstellen, wie Mrs Jamieson auf ihrem durchgesessenen Sofa saß, in der geblümten Kittelschürze, die Strickjacke um die Schultern gezogen. Sarah setzte sich mit einer Tasse Kaffee an den Küchentisch und berichtete ihr kurz vom Unfall ihres Großvaters.
» Das tut mir leid, meine Liebe. Ihr Vater hat immer voller Hochachtung von ihm gesprochen. Aber er hat das Schlimmste ja überstanden und sicher noch ein paar gute Jahre vor sich. Sagen Sie, haben Sie denn mit Ihrem jungen Mann gesprochen? Anthony, so hieß er doch, oder?«
» Wie geht es Jim? Haben Sie ihn gesehen?« Es war leichter, Mrs Jamiesons Fragen zu ignorieren. » Meinen Sie, ich könnte ihn anrufen?« Wie gerne sie jetzt mit ihm sprechen würde. Gedankenverloren rührte sie in ihrem Kaffee und legte den Löffel auf den Tisch.
» Er ist nach Edinburgh gefahren, Mädchen.«
» Er weiß es. Weiß er es, Mrs Jamieson?«, fragte Sarah atemlos.
» Nein, Kind, er weiß es nicht.« Mrs Jamieson schürzte die Lippen.
» Oh.«
Das Mädchen klang enttäuscht, aber Mrs Jamieson hielt es ehrlich gesagt für besser. » Und, wie geht es Anthony?«
Sarah trank einen Schluck Kaffee und verbrannte sich die Kehle an dem heißen Getränk. » Seit ich wieder in Wangallon bin, hat sich einiges verändert. Er hat gekündigt.«
» Aber Sie haben ihm gesagt, er soll bleiben, oder?«, fragte Mrs Jamieson hoffnungsvoll.
» Ja, natürlich. Aber mit Großvaters Testament ist das alles schwierig.«
» Das überrascht mich nicht. Ich könnte mir vorstellen, dass Anthonys Kündigung seine Pläne durcheinanderbringt.«
» Daran habe ich noch gar nicht gedacht.« Sarah schob die Kaffeetasse weg und konzentrierte sich auf das Gespräch. » Ich denke, Anthony ist klar geworden, dass die Sache mit dem Erbe einfach nicht funktioniert; vor allem, dass ich fünf Jahre hierbleiben muss und…«
» Wenn er geht, löst er damit all Ihre Probleme, Kind.«
Das stimmte. Wangallon würde ihr gehören, wenn sie hierbliebe. » Es gäbe keine Bedingungen, keinen…«
Mrs Jamieson räusperte sich. » Keinen Anthony«, sagte sie. » Bedeutet er Ihnen etwas?«
» Das ist nicht der Punkt, Mrs Jamieson.«
» Ach nein? Und um was geht es dann?«
Sarah dachte
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