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Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)

Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)

Titel: Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Alexander
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er überhaupt keine Kontrolle über die Situation gehabt hatte. » Wie gesagt, es geschah alles so schnell. Er war ziemlich schlimm dran.«
    Sarah stellte sich das Bild vor: das Blut, ihr Großvater, der am Boden lag, das Chaos, das darauf folgte und die abgelegene Lage der Farm.
    » Ich habe sofort die Polizei und diese Notfall-Schwester angefunkt.« Anthony räusperte sich erneut. » Pete hat den Krankenwagen hergelotst. Dein Großvater hat wahrscheinlich gedacht, er überlebt es nicht.« Er setzte sich neben Sarah und legte seine Hand über ihre. » Als es kühl wurde, haben wir ein Lagerfeuer gemacht und ihn näher herangetragen. Er hat sich mit keinem Ton beklagt, kein Wort gesagt. Es war eine wunderschöne Nacht, Sarah. Die Sterne waren so nahe, man hätte sie berühren können. Er drückte meine Hand.« Anthonys Stimme wurde leiser. » Der Krankenwagen brauchte so lange. Ich habe Shrapnel neben ihn gelegt. Komisch daran war, aber das konnte ich niemandem sagen, ich glaube, er wollte einfach da draußen am Lagerfeuer liegen bleiben.«
    Sarah strömten die Tränen über die Wangen.
    » Es war so, als ob… als ob noch andere Leute da wären. Er sagte: › Es ist ein guter Tod, für uns beide. ‹ «
    » Aber er ist doch nicht gestorben«, warf Sarah hoffnungsvoll ein. » Er ist doch nicht gestorben.« Wütend wischte sie sich die Tränen ab. Draußen klapperte das Aluminiumgestänge der grünweißen Markisen.
    » Nein, er ist nicht gestorben.« Er konnte doch noch nicht gehen, dachte Anthony, sein Lebenswerk war ja noch nicht vollendet.
    Die Wärme von Anthonys Hand breitete sich endlich auch in Sarahs Körper aus. Sie reckte den Kopf von einer Seite zur anderen, um ihre verkrampften Muskeln zu lockern. » Und Shrapnel?«, fragte sie. Anthony senkte den Blick.
    » Der Hund hat ihn verteidigt«, murmelte er. » So etwas habe ich noch nie erlebt.« Anthony holte tief Luft. » Und ich hätte es nie für möglich gehalten. Shrapnel muss doch mittlerweile über sechs Jahre alt sein. Aber als er sah, dass der Stier Angus angriff, hat er nicht eine Sekunde gezögert.«
    » Ist Shrapnel tot?«, fragte Sarah, aber eigentlich wusste sie die Antwort bereits.
    » Der Stier griff an und warf deinen Großvater um. Shrapnel verbiss sich sofort in den Hals des Tieres. Drei Mal wurde er abgeschüttelt, und drei Mal sprang er ihn wieder an. Es passierte alles so schnell. Bis ich das Gewehr bereithatte, war dein Großvater an der Seite schon übel zugerichtet. Aber er stand schon wieder auf den Beinen und versuchte, über den Zaun zu klettern. Zäher alter Kerl. Pete hing über ihm am Pfosten, um ihn hochzuziehen. Ich feuerte ein Magazin leer, aber der Stier war schon losgerannt. Shrapnel flog in die Luft und geriet zwischen deinen Großvater und die Hörner des Bullen. Er war ganz aufgerissen, und ich vermute, er war sofort tot. Zwei Schritte von deinem Großvater entfernt ist dann auch der Stier tot zusammengebrochen.«
    » Und?« Sarah wusste, dass es noch nicht zu Ende war.
    » Angus taumelte auf Shrapnel zu, streichelte ihn und brach dann ebenfalls zusammen.«
    Sarah wollte eigentlich nicht mehr weinen, weil sie das Gefühl hatte, nicht mehr aufhören zu können, wenn sie einmal anfing.
    Wortlos ließ Anthony Sarah am Küchentisch sitzen und wanderte allein durch das Haus, um überall das Licht einzuschalten. Vielleicht war diese Tragödie ja wenigstens dazu gut, dass sie wieder Freunde wurden. Warum fiel es ihm dann so schwer, sie zu trösten? Am Flughafen hatten sie sich einmal kurz umarmt, aber im Krankenhaus, im Krankenhaus war sie schweigsam gewesen, deshalb hatte er sich nur noch den Bericht des Arztes über Angus’ kritischen Zustand angehört und sie dann am Bett des alten Knaben allein gelassen. Kurz darauf war sie in den Warteraum gekommen und hatte sich mit einem kräftigen Tritt gegen den Automaten eine Cola und einen Schokoriegel gezogen.
    Auch Sarah erhob sich vom Küchentisch und wanderte durch die muffigen Zimmer. Als sie mit dem Finger über den alten Esstisch aus Eiche fuhr, hinterließ er eine tiefe Linie in der dicken Staubschicht. Alles wirkte angelaufen und verschmutzt. Ihre Finger berührten die Stellen, die an Cameron erinnerten. Da war der Kratzer von seinen Sporen. Ein kleiner Tintenstrich markierte den Platz am Tisch, wo er einmal einen Brief geschrieben hatte; der Riss daneben stammte von der trockenen Hitze im Outback. Auch die Wände hatten teilweise Risse, wo sich das Fundament gesetzt hatte.

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