Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)
schmecken. Ein überdachter Gang an einem Ende des Gebäudes führte zu einem weiteren kleinen Haus; aus dem Schornstein stieg Rauch auf, und Claire nahm an, dass es das Küchenhaus war. Der Versuch, eine Rasenfläche anzulegen, war nur halbwegs gelungen, den trockenen braunen Stellen in dem dunklen Grün nach zu urteilen.
Ein drahtiger, anämisch aussehender Mann half ihr aus der Kutsche.
» Miss Whittaker, ich bin Jasperson. Willkommen.«
Der Engländer nahm ihre Truhe herunter, die hinten an der Kutsche fest verschnürt war, und stellte sie einfach auf dem Boden ab. Claire kam sich vor wie ein Seemann, der nach langer Reise wieder festen Boden unter den Füßen hat.
» Danke«, antwortete sie. Da Jasperson auf ihre höfliche Antwort nichts erwiderte und einfach wegging, strich sie ihren Rock glatt und zupfte an ihrer Jacke. » Und jetzt?«, murmelte sie, als die Kutsche sich rumpelnd entfernte und sie alleine zurückließ. Ihr kleiner Strohhut bot ihr nur wenig Schatten, und mittlerweile waren auch ihre Strümpfe durchgeschwitzt. Einen solchen Empfang hatte sie nicht erwartet. Dabei hatte sie ihren Part gewissenhaft erfüllt. Nach dem Tod ihres Vaters war sie wie verlangt noch ein Jahr in Sydney geblieben, hatte ihre Studien beendet und vor allem ihr Klavierspiel und ihre Fähigkeiten in der Haushaltsführung vervollkommnet. Dafür hatte sie zumindest eine herzliche Begrüßung erwartet, vor allem nach der dreitägigen Reise.
» Wollen Sie den ganzen Nachmittag in der Hitze stehen bleiben?«
Eine große, schlanke Gestalt tauchte auf der Veranda auf und trat auf sie zu.
» Mr Gordon?«, fragte Claire. » Mr Hamish Gordon?«
Er trug eine beigefarbene Hose, ein weißes Hemd mit Weste und ein Jackett, das offensichtlich maßgeschneidert war. Hinter ihm tauchten zwei Aborigine-Mädchen auf. Sie ergriffen ihre Truhe und trugen sie zum Haus.
» Guten Tag, Mr Gordon.« Claire holte tief Luft und ging entschlossen auf ihn zu. » Es war eine lange Reise.« Sie konnte jetzt seine Augen sehen. Bemerkenswerte dunkelblaue Augen, die vor Freude blitzten. Sie roch Zigarrenrauch, Moschus und den leicht erdigen Geruch von Tieren.
» Es lag nie in meiner Absicht, dass wir uns begegnen«, sagte er.
Sie ergriff die Hand, die er ihr reichte, wobei sie sich fragte, was er wohl für eine Antwort von ihr erwartete. Sein Griff war fest, aber sein Gesichtsausdruck wachsam. » Dann ist es ja gut, dass ich so hartnäckig bin«, erwiderte sie. » Danke für alles, was Sie für meinen Vater und für mich getan haben. Eine solche Großzügigkeit findet man selten.«
» Es hat mir großes Vergnügen bereitet.«
» Und ich glaube doch, dass es in Ihrer Absicht lag, dass wir uns begegnen, Mr Gordon; zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort.« Allerdings hatte es wohl nichts mit seinem Stand als Witwer zu tun. Seinem markanten Gesicht und der stolzen Haltung nach zu urteilen, ging es ihm wohl eher darum, alles unter Kontrolle zu haben, dachte sie. Und die hatte sie ihm jetzt aus der Hand genommen. Sie sah ihm an, dass sie ihn amüsierte, und das war doch schon mal ein guter Anfang, fand Claire. Hamish Gordon sollte sie als Person kennenlernen, nicht als fernes Objekt seines Interesses. Er sollte sie frei sein lassen, ohne Erwartung oder Verlangen.
» Willkommen auf Wangallon.«
Bei seinen Worten ging die Sonne am Horizont unter und färbte den Himmel rot und gelb. Der Wind ließ nach, und direkt gegenüber von ihr, in einem großen Eukalyptusbaum, rief eine Eule. Und jetzt spürte sie, wie der warme Atem dieses Landes, seines Herzens, sie willkommen hieß. Erleichterung stieg in ihr auf.
» Sie müssen müde sein.«
Claire setzte ihren Strohhut ab und schüttelte den Staub des Tages aus ihren schwarzen Haaren. Mit allen Sinnen nahm sie die bemerkenswerte Schönheit ihrer neuen Umgebung auf. » Nein, nicht mehr.«
Winter, 1987
Wangallon Station
Der Tag neigte sich dem Ende entgegen. Sarah erwartete beinahe, das Seufzen der Erde zu hören, die sich zur Ruhe legte. Der Weg, den sie entlangging, war in der graslosen Staubwüste, die sich viele Kilometer in alle Richtungen erstreckte, kaum zu erkennen, und einen Moment lang war sie froh, dass Angus nicht sehen konnte, welchen Schaden die Dürre angerichtet hatte. Der Wind trug das Blöken der Schafe zu ihr herüber. Die Muttertiere riefen nach ihren zu früh geborenen Lämmern, die während des Tages von ihnen getrennt wurden. Der beißende Geruch von Urin und Dung mischte
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