Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)
Lernen?«
» Wegen Englisch und Mathe habe ich das Mustern der Zuchttiere verpasst, aber du weißt ja, wie Mum ist.« Sarah steckte die Hände in die Taschen. Sie fand es aufregend, sich mit Anthony allein zu treffen.
» Ja«, stimmte Anthony zu. Sarahs Mutter war ein bisschen durchgeknallt, und er wusste instinktiv, dass sie es nicht mochte, wenn ihre Kinder mit den Angestellten freundschaftlich umgingen, obwohl auch er aus einer respektablen Grundbesitzerfamilie kam.
Sarah wusste, dass er sie mochte. Na ja, zumindest ein bisschen, denn sonst würden sie sich ja nicht ständig an den Ställen treffen. Er nahm wohl kaum den langen Weg von der Cowboy-Unterkunft auf sich, um mit den Pferden zu sprechen. Bestimmt würde er sie bald einmal fragen, ob sie mit ihm ausgehen wollte. Wenn sie doch nur näher an einer größeren Stadt wohnen würden! Sie hatte ein Auge auf ein violettes Kleid mit Rüschen und einer Art Tulpenrock geworfen. Es würde ihr bestimmt gut stehen. Sie zog den Gummi von ihren Haaren, schüttelte sie aus und band sie erneut zusammen.
Anthony setzte sich auf den Betonblock, der als Stufe in den Futterschuppen diente. Es wurde schon dunkel, und nur noch zwischen den Bäumen in der Ferne war ein dünner, heller Streifen zu sehen. Er winkte Sarah zu sich. Sie zögerte kurz und fuhr sich rasch mit der Zunge über die Lippen, bevor sie sich schließlich neben ihn setzte. Schweigend saßen sie da. Sarah zog die Knie an, weil sie in der kühleren Abendluft fröstelte. Verlegen spürte sie, wie ihre Arme sich berührten.
Wann hatte er sein Herz an dieses Mädchen verloren?, dachte Anthony. Er sah in ihr nicht mehr den Spielkameraden, das Mädchen in geflickten Jeans, an deren geflochtenem Gürtel ein Taschenmesser hing. Fasziniert betrachtete er die rosigen Ovale ihrer Nägel, träumte davon, wie seine Hände auf ihren Hüften lagen, und stellte sich ihr duftendes Haar vor, das durch seine Finger glitt. Verlegen rieb er einen imaginären Schmutzfleck von seinen Jeans.
» Vor ein paar Monaten waren wir noch am Fluss«, sagte Sarah und schob die Hände unter ihren Pulli. Es würde eine kalte Nacht werden.
Anthony dachte an den Nachmittag, den letzten, bevor es im Herbst kühler wurde. Sie hatten im schlammigen Flusswasser gebadet und später auf ihren Handtüchern am Ufer in der Sonne gedöst. Sarahs schlanke, gebräunte Gestalt stand ihm seitdem ständig vor Augen. Natürlich hatte er schon ein paar Erfahrungen mit Frauen gesammelt, aber hier auf Wangallon standen die Dinge etwas anders, schließlich war sie die Enkelin seines Chefs.
» Hast du das von Ronnie Reagan gehört? Er will Satelliten hochschießen, die Raketen abwehren können.«
Sarah blickte zum Himmel. » Das ist nicht dein Ernst.« Am Himmel tauchten die ersten Sterne auf. Sie schimmerten in der Dunkelheit wie Perlen. » Hat er Angst vor den Russen?«
» Scheint so.«
» Hey, das wäre ja so ähnlich wie Star Wars.«
» So nennen manche Leute es auch.«
Sarah schüttelte den Kopf. » Erstaunlich. Da gucken wir uns solche Filme im Autokino an, und es könnte tatsächlich im wirklichen Leben passieren. Gott sei Dank sind wir hier.«
» Du wirst nie hier weggehen, Sarah, oder?«
» Nein, niemals. Wie Großvater schon gesagt hat, wenn man diesen Ort erst einmal im Blut hat, kann man nirgendwo anders mehr leben. Deshalb ist unsere Familie ja auch schon so lange hier. Wenn man von hier weggeht, lässt man sich selbst zurück.« Sie wollte ihm gerne sagen, wie sehr sie ihn mochte, obwohl er sie vielleicht noch ein bisschen jung fand. Vielleicht hatte er sie deshalb noch nie eingeladen, mit ihm auszugehen? Schließlich war sie noch in der Schule.
» Ich gehe jetzt besser, es ist schon spät.« Zögernd stand Sarah auf. Die Lichter des Hauses leuchteten durch die Bäume. Bald würde es Abendessen geben.
» Sarah.« Anthony erhob sich. Er hätte sie gerne in die Arme genommen und geküsst. Er hätte gerne ihren Duft nach Sandelholz und Lederfett gerochen. Sie war wahrscheinlich noch nie geküsst worden, und ganz bestimmt nicht von jemandem, der schon ein bisschen Erfahrung hatte. Aber er stellte sich das alles nur vor und berührte sie lediglich leicht an der Schulter. Wenn Sarah oder ihre Familie etwas gegen seine Avancen hatten, würde er seinen Job verlieren, und er war so gerne hier. Es war wichtig für ihn, Teil von Wangallon zu sein. » Ja, du gehst jetzt besser nach Hause. In ein paar Tagen fangen wir an zu scheren, deshalb sehen wir
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