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Weites Land der Träume

Titel: Weites Land der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne McCoullagh Rennie
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und versuchte, sich an ihr vorbeizudrängen, ohne sie umzuwerfen. »Wir müssen sie zu Ma bringen.«
    Vorsichtig streckte Alice die Hand aus und berührte Dummerchens Knickohr. Kurz öffnete die Ziege die Augen, sodass Alice den treuen Blick auffing, der ihr so ans Herz ging. Dann hauchte Dummerchen mit einem Schauder ihr Leben aus. Alice schrie leise auf, und Billy sah den unbeschreiblichen Schmerz in ihren Augen. Ein Blick auf die Ziege sagte ihm, dass sie tot war.
    »Sie hat uns verlassen, kleine Alice«, flüsterte er und konnte die Tränen nicht unterdrücken. Er nickte Paddy zu, der wortlos verschwand.
    »Aber du hast es versprochen.« Alice glaubte, keine Luft mehr zu bekommen. Sie sank in die Knie. Schweigend legte Billy ihr die tote Ziege in die Arme. Alice starrte ungläubig auf Dummerchen, und Tränen liefen ihr die Wangen hinunter. Sie schmiegte Dummerchens Kopf an ihre Wange, und nahm nichts um sich herum wahr, während ihre lauten Schluchzer in den Nachmittagshimmel aufstiegen. Billy wartete, bis sie sich ausgeweint hatte. Als Alices Schluchzer schließlich erstarben, nahm er ihr die Ziege sanft wieder ab.
    »Ich helfe dir, sie zu begraben, kleine Alice«, meinte er, und auch seine Augen waren vom Weinen gerötet. »Wir beerdigen sie neben meinem alten Hund.« Wortlos machten sie sich auf den Heimweg.
    »Ich habe sie geliebt und sie mich auch«, flüsterte Alice, als Billy die Schaufel holte. Er nickte verständnisvoll. Dann nahm er die leblose Ziege wie ein kostbares Geschenk in die Arme, trug sie den Hügel hinunter und begrub sie. Alice strich mit den Händen über den frischen Erdhügel, und benetzte die schwarze Erde mit ihren Tränen, während Billy geduldig daneben stand. Als sie nicht mehr weinen konnte, legte sie einen kleinen Zweig von einem Eukalyptusbaum oben auf das Grab und stand auf. Inzwischen waren ihre Augen trocken, doch aus ihren Tiefen schimmerte eine neue Trauer hervor. Billy umfasste fest Alices Hände und wünschte, den Schmerz von ihr nehmen zu können.
    »Das werde ich diesen Schweinekerlen nie verzeihen. Niemals«, flüsterte er, und Alice wusste, dass er es ernst meinte.

Kapitel sieben
    Nach Dummerchens Tod veränderte sich etwas in Alice. Sie war zwar nicht härter geworden, wusste aber, dass sie sich nie wieder etwas so zu Herzen nehmen würde. Wenn der Schmerz zu unerträglich wurde, fand sie auf seltsame Weise Trost in diesem neuen Gefühl von Freiheit. Angesichts ihrer unbeschreiblichen Trauer erschien ihr alles andere banal. Inzwischen empfand sie Onkel Rays Strenge beinahe als wohltuend, was wiederum dazu führte, dass seine Einstellung ihr gegenüber versöhnlicher wurde. Selbst Katies ständige Sticheleien berührten Alice nicht mehr.
    Nur Bea bemerkte den tief greifenden Wandel, der sich in Alice vollzogen hatte. Als die Tage vergingen, kehrte Alices natürliche Fröhlichkeit zwar nach und nach zurück – ebenso wie ihr ungebärdiges dichtes schwarzes Haar, das sich bald wild wuchernd wie ein exotischer Busch in alle Richtungen sträubte –, doch Bea machte sich trotzdem Sorgen um das Kind. Deshalb war sie sehr erleichtert, als sie zwei Tage vor Weihnachten erfuhr, dass Thomas bald zurückkehren würde.
    »Das ist das Allerschönste für die Kinder. Was für ein wunderbares Weihnachtsgeschenk«, meinte Tante Bea zufrieden zu Ray. »Alice erinnert mich zurzeit an einen zu straff gespannten Draht. Wenn ihr Vater wieder da ist, wird sie vielleicht ein wenig lockerer.« Ihre Miene verdüsterte sich, und sie blickte Ray an. »Manchmal wird mir ein wenig mulmig, wenn ich an Tommy denke. Ich frage mich, ob er wohl ahnt, wie viel Hoffnung Alice in seine Rückkehr setzt.«
    Onkel Ray runzelte die Stirn. »Wenigstens lungert sie nicht mehr den ganzen Tag bedrückt herum und trauert dieser verdammten Ziege nach. Aber ob ich die Rückkehr ihres Vaters als Geschenk bezeichnen würde, weiß ich nicht so recht. Und jetzt muss ich ein paar Ersatzteile besorgen gehen.« Mit dem Finger schob er sich den breitkrempigen Hut aus der Stirn und marschierte zur Tür.
    »Könntest du Alice nicht mitnehmen, wenn du ihn in Walgett abholst?«
    Ray blieb stehen und drehte sich missmutig um. »Ihn abholst? Was ist denn mit seinem Auto los?«
    »Habe ich es dir nicht erzählt? Er hat es verkauft«, erwiderte Bea und fügte rasch hinzu: »Angeblich zu einem wirklich guten Preis, aber ich habe ja nicht selbst mit ihm gesprochen.« Ray stieß ein verächtliches Schnauben aus. »Bitte mach es

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