Weites Land der Träume
hin, froh der Stimmung im Haus entronnen zu sein. Nachdem Katie verkündet hatte, sie sei schwanger, hatte sie die Schule abgebrochen. Seit zwei Wochen litt sie unter morgendlicher Übelkeit, und seit ihre Schwangerschaft kein Geheimnis mehr war, spielte sie mit den Gefühlen ihrer Mutter. Manchmal verhielt sie sich reumütig und kleinlaut, veranstaltete dann wieder ein Riesentheater wegen der anstehenden Hochzeit und verlangte, dass sich alles um ihre eigenen Bedürfnisse und die des erwarteten Kindes drehte. Der Hochzeitstermin war für Anfang Oktober angesetzt. Währenddessen fühlte sich Tante Bea, die eine gekünstelte Fröhlichkeit an den Tag legte, zwischen ihrem Wunsch, für ihre Tochter zu sorgen, und dem Versuch, Alice, die sich immer mehr hinter eine Mauer zurückzog, nicht zu vernachlässigen, hin und her gerissen.
Als Alice am besagten Samstagabend völlig niedergeschlagen aus Wangianna zurückgekehrt war, hatte sie in Gegenwart der Familie keine Träne vergossen, sondern mit den anderen gescherzt und gelacht. Allerdings war ihr Lachen zu schrill und ihr Lächeln gekünstelt gewesen. Am nächsten Tag hatte sie sich mit noch größerem Feuereifer auf ihren Lernstoff gestürzt, büffelte seitdem bis spät in die Nacht und schlief dann erschöpft ein. Dennoch vergaß sie nie, sich um Sherry und die zwei verwaisten Lämmer zu kümmern, die sie auf Roberts Beharren hin behalten hatte. Die beiden blökten immer aus vollen Halse, wenn sie sie sahen.
Alice nahm Kurs auf zu Hause und überlegte dabei, welches Land sie am besten mit dem so unverhofft gewonnenen Geld kaufen sollte. Vor dem Start hatte sie den Wetterbericht abgehört. Zwischen drei und fünf Uhr nachmittags wurde eine Gewitterfront erwartet, die vom Süden her über die Ebenen im Westen heranzog. Inzwischen konnte Alice die schweren, aufgeplusterten Kumuluswolken südlich von Billabrin erkennen, die sich mit hoher Geschwindigkeit nach Norden bewegten.
Beim Start war die Luft heiß und drückend gewesen, typisch vor einem schweren Unwetter. In der letzten halben Stunde hatte sie mit schwerem Gegenwind zu kämpfen gehabt und viel Treibstoff verbraucht. Ein Blick auf die Karte sagte ihr, dass sie bald die Farm der Johnsons erreicht haben würde. Von dort aus waren es nur noch zwanzig Minuten bis nach Hause. Sie kontrollierte die Tankuhr und kam zu dem Schluss, dass der Treibstoff gerade noch reichte, um wohlbehalten ans Ziel zu kommen. Doch als sie die grüne Landschaft unter sich nach der vertrauten Baumreihe absuchte, hinter der sich der Fluss und die Farm der Johnsons befanden, wurde ihr klar, dass etwas nicht stimmte. Der Fluss befand sich zu weit im Westen, und der Damm, ihr zweiter Orientierungspunkt, hatte die falsche Form. Überhaupt sah es hier völlig anders aus als rings um die Farm der Johnsons. Alice rieb sich die Augen und schaute noch einmal hin. Da sah sie zu ihrer Erleichterung Sonnenstrahlen auf einem Blechdach funkeln. Alice atmete auf und flog auf das Gebäude zu, bis sie die großen schwarzen Buchstaben lesen konnte, die deutlich auf dem Dach des Hauses prangten. »Bowen« stand da.
»Bowen?« Alices Fluch übertönte das Dröhnen des Motors. Offenbar hatte sie auf dem Rückflug eines der winzigen Städtchen verwechselt. Das bedeutete noch eine gute Stunde Flugzeit und auf keinen Fall durfte sie riskieren weiterzufliegen, ohne aufzutanken. Zum Glück waren die Bowens an ihre Überraschungsbesuche gewöhnt. Alice griff zum Funkgerät.
»Bowen Farm, Bowen Farm, hier ist X-Ray Delta X-Ray. Hören Sie mich?« Keine Antwort. Doch nach dem dritten Versuch knisterte eine Stimme durch den Lautsprecher.
»X-Ray Delta X-Ray, hier ist Bowen Farm. Fraser am Apparat. Bist du das, Alice?«
»Hallo, Fraser! Ja, ich bin es wieder einmal. Alice Ferguson. Ich habe gerade einen Blick auf die Tankuhr geworfen und festgestellt, dass ich fast auf Reserve bin. Kann ich landen und bei euch auftanken?« Alice mochte Fraser. Der kräftig gebaute blonde Dreiundzwanzigjährige hänselte sie immer wegen ihrer burschikosen Art und behauptete, man hätte den Frauen nie das Wahlrecht gewähren dürfen. Angeblich wünsche er sich seine Frau »barfuß, mittellos und in der Küche«. Doch Alice hatte rasch herausgefunden, dass genau das Gegenteil zutraf und dass Fraser die unabhängigen und durchsetzungsfähigen Frauen des australischen Outback bewunderte.
»Kein Problem, Alice. Ist ein bisschen windig hier unten. Wo bist du?«
»Etwa fünfundzwanzig
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