Weites wildes Land
hören. Sie ärgerte sich über die Bemerkungen, die Maudie über Charlotte gemacht hatte, und es gefiel ihr gar nicht, wenn man sie »die da« nannte. »Pech gehabt, Maudie«, sagte sie sich. »Wenn du es so siehst, gehe ich erst recht mit.« Sie fing an, Hemden und Reithosen für den Ritt herauszusuchen. In diesem Augenblick wurde ihr bewußt, daß ihre Stellung im Hause gefährdet war, sollte Charlotte etwas zustoßen. Das erinnerte sie an ihre eigene finanzielle Lage. Sie hatte ein Schreiben von der Versicherungsgesellschaft bekommen, in dem es hieß, daß eine Entschädigung von mehr als tausend Pfund an Percy Gilbert als ihrem Vormund ausbezahlt worden war. Auf Charlottes Rat hin hatte sie Percy geschrieben und ihn aufgefordert, den vollen Betrag an sie zurückzuzahlen, da er nicht berechtigt war, sich als ihr Vormund auszugeben und deshalb keinen Anspruch auf ihr Geld hatte. Percy war ihr die Antwort schuldig geblieben. Also beschloß sie, ihm noch einmal zu schreiben und den Brief in Pine Creek aufzugeben.
* * *
Als das Trio in die staubige Goldsucherstadt einritt, ahnte Sibell, welchen Rang Viehzüchter hier genossen. Die beiden hochgewachsenen, bärtigen Hamiltons wurden sofort erkannt, und die Männer lüpften freundlich zum Gruß den Hut. Der Leiter des Telegraphenamtes kam heraus, um sie willkommen zu heißen, gefolgt von seiner Frau, die höflich lächelte, als sie vorgestellt wurde. Sibell bemerkte den scharfen, mißbilligenden Blick, mit dem die Frau ihre Männerkleider bedachte. Mrs. Dowling trug ein schwarzes Kleid aus schwerem Serge mit einem hohen, mit Stäbchen verstärkten Kragen, langen, engen Ärmeln und einem langen Rock, der im Staub schleifte. Sibell fragte sich, wie Frauen eine solche Aufmachung in dieser Hitze ertragen konnten, da die Temperaturen sich durchschnittlich um die vierzig Grad bewegten. Sie war Charlotte für ihren gesunden Menschenverstand dankbar. Sie wurden dem Postmeister, dessen Gattin und Dutzenden von anderen Menschen vorgestellt. Dann nahmen sie im Lucky Strike Hotel Quartier, einem heruntergekommenen, lang gestreckten, niedrigen Gebäude, von dem Mrs. Dowling behauptete, es sei das beste Hotel in der Stadt. Sibell mußte ein Lachen unterdrücken. Pine Creek eine Stadt? Eher eine Ansammlung baufälliger Hütten. Und auch die Bewohner waren eine merkwürdige Mischung: Überall wimmelte es von Chinesen, deren schrille Stimmen das Geschrei der Goldgräber und das Rattern der Pferdewagen übertönten. Ein Schmied arbeitete an seinem Amboß, und Viehhirten trieben eine Herde blökender Schafe die Straße entlang und zogen eine Staubfahne hinter sich her. Aborigines in zerlumpter Kleidung wanderten, gefolgt von kläffenden Hunden, ziellos umher. »Ist mit Ihnen alles in Ordnung?« fragte Zack. »Ja, danke«, stieß sie hervor, da sie niemanden vor den Kopf stoßen wollte. »Ich bin nur müde.« Offenbar war die Ankunft der Hamiltons ein Grund zum Feiern. An diesem Abend speisten sie mit den Honoratioren von Pine Creek an einer Tafel, die unter den Bäumen aufgebaut worden war. Nicht unweit davon befand sich das lärmende Wirtshaus, und die Männer strömten nach draußen, um Sibell zu bewundern. Zack lachte. »Sie sind hier die große Attraktion, Sibell. Sehen Sie nur, wie viele Verehrer Sie haben. Welcher gefällt Ihnen am besten?« Allerdings nahm Cliff diese ständigen Störungen nicht so leicht. Als immer mehr Männer den Tisch umringten und sich mächtig ins Zeug legten, um Sibell vorgestellt zu werden, verlor er die Geduld. »Verschwindet!« fauchte er schließlich drei junge Burschen an. »Das hier ist ein freies Land«, gab einer von ihnen zurück und wandte sich wieder an Sibell. »Sie sind das hübscheste Mädchen, das jemals nach Pine Creek gekommen ist«, sagte er. »Bleiben Sie lang?« »Nein«, antwortete sie. »Wir sind nur auf der Durchreise.« Plötzlich sprang Cliff auf und packte den Mann beim Arm. »Geschlossene Gesellschaft, mach dich dünne!« Aber der Goldgräber stieß ihn weg. »Ihr Viehzüchter tragt die Nase verdammt hoch. Ich lass' mich nicht von dir herumkommandieren!« Unvermittelt versetzte Cliff dem Mann einen Boxhieb, und dem Goldgräber riß der Geduldsfaden. »Wenn du unbedingt willst, Kumpel. Aber beschwer dich nachher nicht.« Entsetzt sah Sibell Zack an. »Halten Sie sie auf!« Doch Zack aß ungerührt weiter. »Warum? Cliff hat damit angefangen, also soll er es auch zu Ende bringen.« Als zwischen den beiden Männern
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