Weites wildes Land
sie angesprochen wurde, brach sie in Tränen aus. Allmählich verlor Maudie die Geduld. Sie hatte beschlossen, daß Sibell sie ins Strandhaus begleiten mußte, da sie schließlich nicht mutterseelenallein zurückbleiben konnte. Aber warum konnte sie sich nicht ein wenig zusammennehmen? Und nun fing Wesley wieder mit seinem Pony an. »Nein«, erwiderte Maudie, »und damit Schluß. Wir können dein Pony nicht mitnehmen. Es ist hier in guten Händen. Ich besorge dir in der Stadt ein anderes.« Sie winkte die Zwillinge herbei. »Nehmt ihn mit und gebt ihm etwas zu essen. Und sagt der Missy, daß ich sie sprechen will.« Sibell kam ins Zimmer. Sie sah entsetzlich aus: Ihr Gesicht war vom Weinen verschwollen, ihre Frisur hatte sich aufgelöst, und der Saum ihres Kleides war heruntergetreten, so daß er am Boden schleifte. »Morgen brechen wir auf«, sagte Maudie. »Sind Sie fertig?« Traurig blickte Sibell aus dem Fenster. »Ich glaube, ich bleibe besser hier.« »Was meinen Sie damit? Sie können nicht hier bleiben.« »Ich störe doch niemanden.« »Doch. Casey begleitet uns nach Palmerston und kehrt erst später zurück. Also sind nur wenige weiße Männer auf der Farm, und die werden sich ganz schön wundern, wenn Sie hier bleiben.« »Ich kann für sie kochen.« »Unsinn. Sie kommen mit und damit basta.« Maudie versuchte, etwas freundlicher zu sein. »Ich würde mich freuen, wenn Sie mitkommen. In der Stadt werden wir uns bestimmt gut amüsieren.« Doch ihr mitleidiger Versuch löste nur wieder einen neuen Tränenstrom aus. »Nun reißen Sie sich doch zusammen«, meinte Maudie. »Ich verstehe, wie schrecklich es für Sie ist, aber durch Weinen machen Sie es nicht ungeschehen.« Wütend sah Sibell sie an. »Ihnen scheint alles gleichgültig zu sein. Sie haben ja keine Ahnung, wie es ist…« »Wirklich nicht?« gab Maudie in scharfem Ton zurück. »Mein Mann ist ermordet worden. Zählt das etwa nicht?« Sibell hielt inne und wischte sich die Augen. »Es tut mir leid«, flüsterte sie. »Ich weiß nicht, warum ich nicht aufhören kann zu weinen.« Verunsichert sah sie sich um. »Merkwürdig. Als meine Eltern ertrunken sind und die Diener und alle, die ich kannte, habe ich nicht geweint. Und ich habe mich deswegen schuldig gefühlt…« »Wahrscheinlich der Schock«, meinte Maudie. »Nein, ich war wütend. Auf sie. Auf alle, glaube ich. Es kam mir so ungerecht vor. Und dann Cliff und Charlotte. Um sie konnte ich auch nicht weinen. Dabei habe ich etwas empfunden, aber ich konnte nicht um sie weinen. Nur wieder dieses furchtbare Gefühl der Ungerechtigkeit. Wahrscheinlich haben Sie gedacht, daß es mir gleichgültig ist.« »Aber nein«, log Maudie. Sie wußte nicht, was sie sonst hätte sagen sollen. Sibell saß auf der Kante ihres Stuhls und sah so klein und verletzlich aus; nicht mehr die elegante, selbstbeherrschte junge Dame von früher. »Sie hatten einfach eine Pechsträhne«, meinte sie schließlich. »Legen Sie sich ein wenig hin. Morgen wird ein langer Tag.« »Aber finden Sie es nicht auch merkwürdig?« fragte Sibell mit angespannter Stimme, »daß ich nicht mehr aufhören kann, um Jimmy zu weinen. Und dabei kannte ich ihn kaum. Ich habe mir nie die Mühe gemacht, mehr über ihn zu erfahren.« »Ich finde es gar nicht merkwürdig«, antwortete Maudie. »Bestimmt ist er es wert, daß Sie um ihn weinen.« »Ja… richtig. Aber andere waren das auch. Meinen Eltern würde es bestimmt furchtbar weh tun, wenn sie wüßten…« »Jetzt hören Sie mir mal zu«, sagte Maudie streng. »Es hat Sie berührt. Sie haben auf Ihre Weise um sie getrauert, und Sie werden sie nie vergessen. Die Sache mit Jimmy war nur der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen gebracht hat. Und Sie haben recht«, fügte sie hinzu, und Tränen traten ihr in die Augen, »es ist so verdammt ungerecht.« Beide brachen in Tränen aus, aber sie waren nicht imstande, einander tröstend in den Arm zu nehmen. Und so saßen die beiden trauernden Frauen einander nur wortlos gegenüber. An der Tür war ein Hüsteln zu hören. Casey stand wartend auf der Schwelle und drehte verlegen seinen Hut in den Händen. Offenbar war es ihm peinlich, daß er gestört hatte. »Entschuldigen Sie, meine Damen, aber Sie haben Besuch.« »Ich möchte niemanden sehen.« Sibell sprang auf und verschwand in die Küche. »Es ist Sergeant Bowles«, fuhr Casey fort. »Ich habe ihm erzählt, was vorgefallen ist, und er möchte sich noch von Ihnen verabschieden, ehe er fort reitet.«
Weitere Kostenlose Bücher