Weites wildes Land
Maudie. »Ich hatte schon Angst vor einer Dürre.« Sibell konnte Maudies Begeisterung nicht teilen. Seit Jimmys Ermordung hatte sie kaum geschlafen. Immer noch wurde sie beim Gedanken daran, wie er gestorben war, von Angst ergriffen, und dieses unerklärliche Gefühl der Bedrohung ließ sie nicht mehr los. Der prasselnde Regen trug noch zu ihrem Unwohlsein bei, obwohl sie und Maudie mit großen schwarzen Regenschirmen ausgestattet waren, da der Karren kein Dach hatte. Casey fuhr ziemlich schnell. »Hoffentlich wird Maudie nicht zu sehr durchgerüttelt«, meinte er, »aber wir müssen vorwärts kommen. Der Staub hier auf dem Pfad verwandelt sich nämlich in Windeseile in tiefen Morast, und wir können es uns nicht leisten, stecken zu bleiben.« »Hoffentlich fährt das Schiff nicht ohne uns ab«, sagte Sibell, die wenig Lust hatte, in Idle Creek festzusitzen. »Die warten schon. Sergeant Bowles hat ihnen bestimmt gesagt, daß wir kommen.« Die anderen schien der Regen nicht zu kümmern. Alle waren so guter Stimmung, daß auch Sibell sich alle erdenkliche Mühe gab, fröhlich zu sein, schon weil sie sich dachte, daß Maudie wahrscheinlich Höllenqualen ausstand. Seit ihrem Gespräch im Eßzimmer fühlte sie sich in ihrer Gegenwart wohler. Sibell war immer noch überrascht, daß es ihr gelungen war, über ihre Schuldgefühle wegen ihrer Eltern zu sprechen. Noch dazu mit Maudie. Jedenfalls hatte sich ihre Niedergeschlagenheit ein wenig gelegt, obwohl sie wußte, daß Maudie und sie niemals Freundinnen sein konnten. Und das hieß, daß sich ihre Wege notwendigerweise trennen mußten. Black Wattle war Maudies Zuhause; also mußte sie, Sibell, gehen. Seltsamerweise schmerzte sie dieser Gedanke. Sibell wußte, daß sie die Farm, die Menschen dort und die alltäglichen Verrichtungen, die sie inzwischen gern tat, vermissen würde. Das Leben dort war wie in einem kleinen, geschäftigen Dorf gewesen. Aber wahrscheinlich würden sie sie bald vergessen haben. Wehmütig blickte sie durch einen grauen Regenschleier die Straße zurück und fragte sich, ob sie die Farm wohl jemals wiedersehen würde. Und Merry, ihr wunderschönes Pferd. Eines Tages würde sie es vielleicht nachholen können, wenn sie erst einmal ein neues Zuhause gefunden hatte. Irgendwo. In einem Hain, wo der Regen von den Bäumen tropfte, machten sie Rast und versuchten, nicht auf die herabstürzenden Wassermassen zu achten, während Sam Lim belegte Brote und Tee verteilte. Sibell saß mit Wesley und den Zwillingen unter dem Karren und sah zu, wie sich die schlammigen Stiefel der Männer bewegten. Sie spannten eine Plane über den Sitz des Karrens, damit Maudie besser vor dem immer stärker werdenden Regen geschützt war. Es war heiß. Sibell wunderte sich, daß der Regen keine Abkühlung brachte. Er führte nur dazu, daß sie unter ihren Regenmänteln schwitzten. Die Pferde gingen weiter und zogen sie durch Rinnen, in denen das Wasser sprudelte. Mit Hilfe der Männer überquerten sie Bäche, die nun durch die Regenmassen überall entstanden. Sibell fühlte sich unwohl. Sie hatte Bauchschmerzen und schwitzte so, daß sie am liebsten den Mantel ausgezogen hätte. Bald gab sie es auf, sich länger mit dem Regenschirm zu schützen. Sie legte ihn unter den Sitz, denn ihre Arme waren zu müde, um ihn noch länger zu halten. »Ist mit Ihnen alles in Ordnung, Miss?« fragte Casey. »Ja, vielen Dank«, antwortete sie entschlossen, da sie die anderen nicht aufhalten wollte. »Es dauert nur noch ein paar Stunden«, meinte er, und Sibell wünschte, er hätte ihr das nicht erzählt. Sie hatte geglaubt, daß sie sich schon viel näher am Depot befanden. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichten sie einen breiteren Bach, und die Reiter halfen zuerst der Kutsche hinüber. »Das Wasser ist bestimmt sehr tief«, sagte Sibell ängstlich. »Der Regen hat eben erst angefangen«, meinte Casey. »Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht.« Nachdem die Männer die Kutsche sicher ans andere Ufer gebracht hatten, kamen sie zurück, um den Karren rumpelnd und rüttelnd über das steinige Bachbett zu geleiten. Das Wasser umrauschte sie, und die Strömung brach sich an dem Gefährt. Gerade als Sibell dachte, das Schlimmste überstanden zu haben, brach ein Rad, und der Karren kippte urplötzlich nach links. Völlig überrascht stürzte Sibell in den rasch dahinfließenden Bach. Voller Angst schrie sie um Hilfe, da sie spürte, wie die Strömung sie mitriß. Doch dann berührten ihre Füße
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