Weites wildes Land
zwar noch ein bißchen früh dran, aber das macht nichts.« Fröhlich schwatzend geleitete sie Josie zu einem Tisch für zwei Personen. »Wir räumen gerade erst die Kuchengedecke heraus, aber Tee kann ich Ihnen schon bringen.« »Vielen Dank«, flüsterte Josie. Sie saß auf dem angebotenen Stuhl, als hätte sie eine Stricknadel verschluckt, und wagte vor lauter Befangenheit kaum zu atmen. Wenn Jack wüßte, daß sie hier war, würde er bestimmt einen Tobsuchtsanfall bekommen. Aber dann schmunzelte sie… Er mußte es ja nicht erfahren. Sie beobachtete, wie eine spärliche Anzahl Gäste in dem großen Speisesaal platziert wurde. Dabei nippte sie möglichst vornehm an ihrem Tee und stellte fest, daß sie keine Freunde hatte. Deutlicher denn je wurde ihr hier bewußt, wie einsam ihr Leben mittlerweile geworden war, doch als die Kellnerin, noch immer plaudernd, den köstlichsten Nachmittagstee vor ihr aufdeckte, den sie je gesehen hatte, schob sie ihren Kummer beiseite. Für einen Augenblick dachte sie mit Schrecken daran, daß das alles furchtbar teuer sein würde. Doch in ihrer Handtasche befand sich das Geld für die Vorräte der nächsten Monate. Jack würde es nicht auffallen, wenn etwas fehlte, denn es war ihre Aufgabe, die Rechnung zu bezahlen. »Für mich ganz allein?« staunte sie, als die Kellnerin die Teller mit Schinkenbroten, Hörnchen mit Brombeermarmelade und Sahne und zwei große Stücke Sandkuchen, gefüllt mit einer dicken Schicht Schlagsahne und einem Belag aus Passionsfrucht, vor ihr hinstellte. Letzte gehörte zu den vielen unbekannten Obstsorten, die Josie in Perth entdeckt hatte. Unter ihrer häßlichen schwarzroten Schale verbarg sich ein unglaublich süßes Fruchtfleisch, das man wie bei einem Ei herauslöffeln konnte, nachdem man die Spitze abgeschnitten hatte. Aber sie war noch nicht auf den Gedanken gekommen, einen Kuchen damit zu garnieren. »Ich wette, daß Sie kein Krümchen übriglassen.« Die Kellnerin lachte. »Unser Koch ist stolz auf den Tee, den er anrichtet.« Als Josie die Schinkenbrote in Angriff nahm, sah sie eine ältere Frau, die ebenfalls allein den Speisesaal betrat. Ihr Kleid, eine sich bauschende, pflaumenfarbene Taftrobe, kam Josie reichlich altmodisch vor, und ihr Hut war ein Ungetüm aus schwarzem Filz. Ihren Hals zierte jedoch eine Perlenkette, die, wenn sie echt war, ein Vermögen gekostet haben mußte. Ohne sich führen zu lassen, schritt sie majestätisch zu einem Tisch in Josies Nähe und nahm inmitten ihrer aufbauschenden Röcke Platz. Die Kellnerin eilte mit einem freundlichen Begrüßungslächeln auf sie zu. Offensichtlich war die Frau den Angestellten gut bekannt, denn auch andere traten zu einem Schwätzchen an ihren Tisch. Da Josie sich besser fühlte, seit sie nicht mehr die einzige war, die allein vor ihrem Tee saß, wandte sie ihre Aufmerksamkeit den Hörnchen zu, bevor sie sich über den Kuchen hermachte. Das Mädchen hatte recht gehabt: Wenn es auch nicht gerade damenhaft war, so konnte sie doch dem zweiten Stück nicht widerstehen. Währenddessen bemühten sich zwei Kellnerinnen um die Dame am Nebentisch; sie schenkten ihr beflissen Tee ein und erkundigten sich, ob sie sonst noch was wünschte. »Nein, nein«, sagte sie. »Kümmert ihr Mädchen euch ruhig um eure Aufgaben. Ich komme schon zurecht, danke schön!« Ihre Stimme war voll, klar und befehlsgewohnt. Die Frau rückte sich die Brille gerade und ließ den Blick durch den Raum schweifen, bis er an Josie hängen blieb. »Wohnen Sie hier im Hotel?« fragte sie. Josie fuhr der Schrecken in die Glieder. Sie fürchtete, sie könnte die Aufmerksamkeit der Frau durch ihr ungeniertes Starren auf sich gelenkt haben. »Nein«, stammelte sie. »Es tut mir leid. Ich bin nur zum Nachmittagstee hier.« »Das braucht Ihnen doch nicht leid zu tun«, entgegnete die Frau gebieterisch. »Kommen Sie aus Perth?« »Nein. Wir haben eine Farm am Moore River.« »Ah, ich verstehe. Schafe wahrscheinlich.« »Ja.« »Und wirft die Farm was ab?« Josie war verdutzt. Bisher hatte sie nur Männer über das Auf und Ab – und meistens über das Ab – des Farmlebens reden hören, und diese Frage schien für eine Frau kaum schicklich. »Es geht so«, antwortete sie und hatte dabei die Worte ihres Mannes im Ohr. »Das höre ich gern. Sie kommen aus England, nicht wahr?« »Ja.« Josie nickte und trank den letzten Schluck Tee. »Ich war noch nie in England«, fuhr ihre Nachbarin unbeirrt fort. »Es muß dort wunderschön sein,
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