Weites wildes Land
mit all den Schlössern und den Kreidefelsen bei Dover. Ich bin in New South Wales geboren.« Sie lachte. »Weiter im Norden nennt man uns die Cockneys aus Sidney.« »Weiter im Norden?« wiederholte Josie ratlos. »Ja, ich lebe im Northern Territory und bin zum ersten Mal in Perth. Ich mußte einen Augenarzt aufsuchen. Meine Augen machen mir ganz schön zu schaffen.« Noch bevor Josie sie bedauern konnte, machte die Frau einen Vorschlag. »Sie haben aufgegessen, wie ich sehe. Lassen Sie mich für uns beide noch eine Kanne Tee bestellen, und kommen Sie an meinen Tisch.« Ohne Josies Antwort abzuwarten, rief die Frau eine Kellnerin herbei, damit sie Josie bei ihrem Umzug behilflich war. »Ich heiße Charlotte Hamilton«, stellte sie sich vor, als Josie bei ihr Platz genommen hatte. »Erfreut, Sie kennen zu lernen, Mrs. Hamilton. Ich bin Josie Cambray.« »Nennen Sie mich Charlotte«, sagte die Frau zu Josies Erstaunen. »Da, wo ich herkomme, hält man nicht viel von Konventionen. Ist dies nicht eine hübsche Stadt?« »Ja«, meinte Josie zweifelnd, und da sie sich verpflichtet fühlte, das Gespräch in Gang zu halten, erkundigte sie sich, woher Mrs. Hamilton stammte, diese eindrucksvolle Frau, die mit ihrer Persönlichkeit den ganzen Raum zu füllen schien. »Ich lebe in Palmerston, der Stadt am Hafen Port Darwin.« »Port Darwin?« fragte Josie neugierig. »Man hört so allerhand seltsame Geschichten über Port Darwin. Nicht, daß ich sie glauben würde«, fügte sie hastig hinzu. Doch Charlotte lächelte. »Sie dürfen sie ruhig glauben, meine Liebe. Dort ist alles vertreten, vom blaublütigsten Engländer bis zum letzten Halunken und Schurken. Die Leute nennen es die ›Hölle von Darwin‹.« »Du meine Güte. Und Sie leben dort?« »Warum nicht? Das Northern Territory ist schon seit vielen Jahren meine Heimat, und ich möchte nicht mehr fort. Wenn Sie sich erst einmal für eine Sache entschieden haben, stehen Ihnen dort alle Wege offen. Zu Anfang bin ich mit meinen Mann auf Goldsuche gegangen. Er hatte es schon seit vielen Jahren im Osten versucht, aber nie so rechten Erfolg gehabt, und deshalb haben wir uns entschlossen, in Pine Creek einen neuen Anfang zu wagen.« »Und wo liegt das.« »Etwas über zweihundert Kilometer südlich von Port Darwin. Das Leben dort war hart, das kann ich Ihnen versichern, aber wir haben es zu etwas gebracht und dann auch ein Gasthaus eröffnet. Aber alles im Leben hat seinen Preis. Mein Mann starb an der Hitze und dem Alkohol.« »Das tut mir leid.« Charlotte zuckte die Achseln. »Wie das Leben so spielt. Ich habe die Bergwerke und die Wirtschaft verpachtet, meine zwei Söhne nach Palmerston gebracht und mir dort ein anständiges Hotel gekauft. Das Prince of Wales, das beste Haus am Platz.« »Und das führen jetzt ihre Söhne für Sie.« »Du meine Güte, nein! Ich wollte verhindern, daß sie ihrem Vater nachschlagen. Ich führe es selbst. Ich habe mein Geld in eine Farm für Rinder- und Pferdezucht gesteckt und sie aufs Land geschickt. Meine Jungen leisten mittlerweile gute Arbeit. Auch wenn Sie es mir nicht glauben, aber auf einer Rinderfarm ist eine gute Ausbildung ebenfalls von Vorteil. Sobald ich es mir leisten konnte, habe ich nämlich dafür gesorgt, daß meine Söhne eine anständige Schulbildung erhalten. Sie waren auf einem Internat in Adelaide.« Sie lachte. »Und wie haben sie sich dagegen gewehrt! Aber ich habe ihnen versprochen, wenn sie es die drei Jahre in der Schule aushalten und anschließend zwei Jahre auf einer Viehfarm abdienen, dann kaufe ich ihnen ihre eigene Farm. Und ich habe mein Wort gehalten. Black Wattle ist eine prächtige Station, knapp achttausend Quadratkilometer groß, und das hält sie in Trab.« »Achttausend Quadratkilometer, haben Sie gesagt?« Josie konnte nur noch staunen. »Es gibt noch größere Besitzungen«, erklärte Charlotte freundlich und trank einen Schluck Tee. »Victoria River Downs, Wave Hill und noch ein paar andere. Aber diese Flächen braucht man auch; ein Acre ernährt schließlich nur eine bestimmte Anzahl Rinder. Wir züchten Kurzhörner, aber ebenso wichtig ist die Pferdezucht.« »Sind Sie dann regelmäßig draußen auf der Farm?« »Ich war nur ein paarmal dort. Ich bin zu alt, um im Zelt zu übernachten. Inzwischen bauen meine Söhne ein Wohnhaus, und wenn es fertig ist, ziehe ich mich aus dem Hotelgeschäft zurück. Immerhin bin ich schon über sechzig, und irgendwann hat man es mal satt, die Männer im Wirtshaus zur
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