Weites wildes Land
Sklavenhändlern, die Hölle heiß. Die Königin hatte Schwierigkeiten mit ihren Söhnen, konnte sich allerdings mit dem stolzen Titel der »Kaiserin von Indien« trösten. Auch die Kolonien hatten ihre Helden: Alexander Forrest, dessen Bruder gerade die schreckliche Nullarbor-Wüste von Perth nach Adelaide durchquert hatte. Er selbst wollte nun eine Entdeckungsreise in die nördlichen Gebiete des Staates unternehmen. Josie las staunend, daß »Nullarbor« kein Wort aus der Eingeborenensprache war, sondern auf lateinisch »keine Bäume« bedeutete. Und drüben in Victoria führte ein Bursche namens Ned Kelly die Polizei an der Nase herum, indem er praktisch unter ihren Augen Banken ausraubte. Einige hielten ihn für einen zeitgenössischen Robin Hood, während ihn andere als einen weiteren dieser kaltblütigen Buschräuber verdammten. Josie wußte nicht, was sie von ihm halten sollte, doch trotzdem verfolgte sie seine Laufbahn mit größter Neugierde. »Was hast du da nur immer zu schnipseln und zu kleben?« erkundigte sich Jack. »Das ist für die Nachwelt«, entgegnete sie, wobei sie sich sagte, daß es eine weitaus sinnvollere Beschäftigung war, als sich allabendlich mit Rum vollaufen zu lassen. »Wozu soll das gut sein? Die Zeitungsverlage bewahren selbst alle Ausgaben im Archiv auf. Wenn die Nachwelt Fragen hat, dann geht sie einfach hin und schlägt nach.« Das hatte Josie nicht gewußt. Zwar war diese Erkenntnis ein ziemlicher Schlag für sie, eröffnete ihr aber gleichzeitig auch eine neue Möglichkeit: Schließlich waren sie Pioniere in diesem Tal, und wenn niemand die Zeit hatte, sich darum zu scheren, würde sie ihre Erlebnisse eben für die Nachwelt in Briefen festhalten. Also stellte sie eine Liste von Freunden der Familie in der Heimat zusammen und wählte drei aus, die sie für verläßliche Briefpartner hielt und die ihre Berichte wertschätzen würden. Nach zwei Jahren waren zwei davon ausgeschieden, doch Tante Flora hielt ihr die Treue. Da die Briefe lange Zeit unterwegs waren, brauchte Josie weitere Ansprechpartner. Sie schrieb schließlich Briefe, die nie aufgegeben wurden. Doch sie konnte sie wohl kaum an sich selbst richten, und deshalb wählte sie die Anschrift: »Liebe Victoria«. Sie stellte sich vor, daß die Königin ihre Schreiben mit Spannung erwartete und das Schicksal einer gewissen Josie Cambray in diesem abgelegenen Teil des britischen Empire mit größter Aufmerksamkeit verfolgte. Es kam der Tag, an dem Ned in das Bishop's College gehen sollte. Josie platzte beinahe vor Stolz, und Jack – der es zwar nicht zugab und den mißmutigen Gesichtsausdruck trug, der zur Abgeschiedenheit der Familie Cambray beigetragen hatte – erging es ebenso, wie Josie an seinen ungewohnt schwungvollen Schritten bemerkte. »Wer hätte je gedacht«, sagte sie, als sie das Internat durch das Haupttor verließen, »daß wir unseren Sohn einmal aufs College schicken? Das mußt du unbedingt den Verwandten in der Heimat berichten.« »Glaub bloß nicht, daß du sie damit beeindruckst«, brummte er. »Die denken höchstens, daß wir die Nase jetzt ganz oben tragen! Du gehst jetzt zurück zu unserer Pension. Ich habe noch Geschäfte zu erledigen.« Aber Josie hatte nicht die Absicht, den ganzen Nachmittag in ihrem Zimmer zu hocken. Zu diesem bedeutenden Anlaß hatte sie sich ein neues Marinekostüm mit passendem Hut geschneidert, und nun wollte sie zur Abwechslung mal durch die Straßen bummeln. Sie schlenderte die King Street entlang, betrachtete die Schaufenster und bewunderte bei jeder Gelegenheit den raffinierten Schnitt ihrer Jacke, der ihre schlanke Taille und noch immer jugendliche Figur vorteilhaft zur Geltung brachte. Als sie an den Eingangsstufen des Royal Perth Hotel vorbeikam, änderte sie, einer Eingebung folgend, ihre Richtung und betrat die kühle, mit Teppichen ausgelegte Halle. Ihre nächste Eingebung befahl ihr, sich umzudrehen und schnurstracks wieder ins Freie zu laufen – sie hatte noch nie ein derartig prunkvolles Gebäude betreten –, doch da kam schon der Portier auf sie zu und hielt ihr die Glastür auf. »Möchten Sie den Tee einnehmen, Madam?« Josie nickte und wurde gleich darauf von einer Kellnerin zwischen Tischen mit glitzerndem Tafelsilber und gestärkten Tischdecken hindurchgeführt. »Erwarten Sie noch jemanden?« fragte das Mädchen freundlich. Josie kam sich vor wie eine Närrin. »Nein«, gestand sie. »Gut, ich glaube, dann ist dies ein netter Tisch für Sie. Sie sind
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