Weites wildes Land
schlage zurück.« Sie erinnerte sich an den Schock, den es ihr versetzt hatte, als Nah-keenah sie mit seiner stahlharten Hand ins Gesicht geschlagen hatte. »Niemand wird mich je wieder ungestraft schlagen!« »Das Leben selbst in die Hand nehmen.« Logans Worte fielen ihr ein. Zwar hatte er sie in einem anderen Sinn gemeint, aber trotzdem gaben sie ihr jetzt Mut. »Du unflätige Göre«, kreischte Margot. »Ich werde dafür sorgen, daß du so schnell wie möglich aus meinem Haus verschwindest. Und ganz bestimmt, noch ehe Elizabeth zurückkommt.« »Ich habe nichts dagegen. Bezahlt mir die Überfahrt nach England.« Sibell wußte, daß aus ihr der Mut der Verzweiflung sprach, denn sie brauchte mehr als nur das Geld für die Überfahrt. Und wo sollte sie sich hinwenden, wenn sie in die Heimat zurückkehrte? Etwa in das Haus ihrer Onkel, um wieder nur Almosen zu empfangen? Außerdem wußte sie, daß die Gilberts in Anbetracht ihres Geldmangels niemals für ihre Überfahrt aufkommen würden, obwohl sie diese Möglichkeit schon erwogen hatten. Mit einem Ruck schob Sibell den Sessel über den Fußboden, ohne darauf zu achten, daß er das Linoleum zerkratzte, und betrachtete sich im Spiegel. Margots Kleider. Sie besaß zwei davon, beide aus schrecklichem schwarzem Krepp, und ihr langes gelocktes Haar trug sie auf Margots Anweisung hin in zwei häßlichen Flechten. Wahrscheinlich hoffte Margot, daß sie damit unscheinbar und tugendsam aussah. Nun, sie war nicht unscheinbar, sie war nicht mehr die magere Vogelscheuche, wie man sie aus dem Busch geholt hatte. In diesem milden Klima hatte sie sich erholt, und ihre Haut war wieder makellos rein. Sibell löste die Zöpfe und runzelte beim Anblick der feinen Kräuseln die Stirn. Ihre Mutter hatte ihr immer die Haare aufgesteckt, so daß sie in weichen Wellen das Gesicht umschmeichelten. Sibell allein brachte ein derartiges Werk nicht zustande; selbst wenn sie eine ganze Handvoll Haarnadeln einsetzte, die sie sich im Haus zusammengesucht hatte, fielen die Strähnen doch wieder herunter. Da sie in der Kunst des Frisierens ungeübt war, nahm sie kurzerhand eine Schere und schnitt sich die Haare auf Schulterlänge ab. Mit dem Ergebnis war sie zufrieden. Ihr helles Haar umschwebte ihr Gesicht jetzt in dicken, natürlichen Locken, und Sibell nickte ihrem Spiegelbild zu. »Alle Achtung, Miss Delahunty.« Sie lachte. »Sie sehen richtig gut aus.« Sie hatte eigentlich erwartet, daß ihre neue Frisur den Gilberts auffallen würde, als sie zum Essen erschien, doch das Ehepaar nahm keine Notiz davon. »Mr. Gilbert und ich haben uns über deine Lage unterhalten«, erklärte Margot. Doch Percy fiel seiner Frau ins Wort. »Überlasse das mir, Gnädigste. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß es für dich das beste wäre, wenn du so schnell wie möglich heiratest«, sagte er zu Sibell gewandt. »Du mußt schließlich versorgt sein.« »Wenn sie überhaupt jemand haben will«, meinte Margot naserümpfend, wohl noch immer in Gedanken an den kürzlichen Streit. »Ich habe da schon einen Gentleman im Auge«, fuhr Percy mittlerweile fort, »und werde die Sache mal mit ihm besprechen.« Sibell nahm den Vorschlag gleichgültig auf. Eine Heirat würde sie wenigstens aus diesem Haus fortbringen. Dann dachte sie an Logan. Er würde es sicherlich nicht gutheißen, aber er steckte auch nicht in solch einer schrecklichen Falle wie sie. Percy Gilbert schien ihre Gedanken erraten zu haben. »Dieser Conal wollte dir heute morgen seine Aufwartung machen«, sagte er. »Aber ich habe ihn fortgeschickt. Du darfst keinen Umgang mit ihm pflegen, denn das würde nur wieder zu Gerüchten führen.« Er seufzte und schlürfte einen Löffel Suppe. »Es wird Jahre dauern, bis sich das ganze Gerede gelegt hat.« Einen kurzen Moment lang war Sibell versucht, ihm den Teller Suppe auf den Schoß zu schütten. Mit welchem Recht hatte er ihren Besucher abgewiesen? Selbst wenn es sich nur um Logan Conal handelte! Der Gedanke, ihm wieder gegenüberzutreten, war ihr zwar unangenehm, doch trotzdem freute sie sich, daß er vorbeigekommen war. Nach diesen langen Monaten der Einsamkeit konnte sie sich nicht mehr vorstellen, was sie an ihm so störend empfunden hatte. Es hätte ihr gefallen, einmal wieder ein vertrautes Gesicht zu sehen, obwohl sie nicht wußte, worüber sie mit ihm hätte sprechen sollen. Blieb nur die Frage, warum er ihr überhaupt seine Aufwartung gemacht hatte. Betrachtete er sich als ihr Freund? Wahrscheinlich
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