Weites wildes Land
Ordnung zu rufen. Ich habe nichts gegen ein Schlückchen hier und da einzuwenden, aber Betrunkene gehen mir auf die Nerven.« Josie schoß das Blut in die Wangen, als sie an Jack dachte, und deshalb änderte sie schnell das Thema. »Was sagt der Arzt zu ihren Augen?« »Er kann nicht mehr viel tun. Es liegt am Staub in dieser Gegend; sogar die Eingeborenen dort haben Augenleiden. Er hat sich in gelehrten Worten ausgedrückt und mir vorgehalten, ich hätte früher kommen müssen. Aber das konnte ich ja nicht wissen! Ich habe gedacht, meine Augen tränen wegen dem Staub und dem Schmutz in der Luft. Irgendwann merkt man, daß es schlimmer geworden ist, und dann heißt es, es sei zu spät.« »Zu spät?« fragte Josie erschrocken. »Sie wollen doch nicht etwa sagen…« Sie zögerte, doch Charlotte führte ihren Satz zu Ende. »Ich werde blind, meine Liebe, traurig, aber wahr.« »Das tut mir leid«, sagte Josie. »Das muß es nicht. Ich komme schon zurecht, und es dauert ja auch noch eine Weile.« Als sie sich verabschiedeten, gab Charlotte Josie ihre Karte. »Wir sollten in Verbindung bleiben. Vielleicht können Sie mich mal besuchen – bei uns ist immer was los, im Territory wird einem nie langweilig.« »Ich weiß nicht, ob ich jemals in die Gegend komme«, sagte Josie. »Aber ich könnte Ihnen schreiben.« »Wollen Sie das tun? Ich würde mich freuen. Da wir am Top End so abgelegen sind, kriegt jeder gern Briefe. Außerdem liest man dort alles, was einem zwischen die Finger kommt. Ich nehme eine ganze Kiste Bücher mit, den Grundstock für unsere Bibliothek auf der Farm. Ich habe sogar schon daran gedacht, wenn mein Augenlicht nachläßt, eine Sekretärin einzustellen, die sich um die Buchführung kümmert und mir vorliest. Wie ich hörte, ist es nichts Ungewöhnliches, wenn sich eine ältere Dame eine Gesellschafterin leistet.« »Ich hoffe, bis dahin bleibt Ihnen noch viel Zeit«, meinte Josie traurig. Mrs. Hamilton lächelte. Trotz der milchigen Augen war sie eine ansehnliche Frau. »Ja, hoffentlich«, stimmte sie zu. »Das wird sich zeigen. Aber ich lasse nicht zu, daß die Krankheit mich in die Knie zwingt.« Auf dem Rückweg zu ihrer Pension legte sich Josie für Jack eine Geschichte zurecht: »Ich bin zum Nachmittagstee ausgegangen und habe…« Nein, das ging nicht, denn er würde fragen, wo sie gewesen war. Sie mußte es anders anfangen. »Ich habe heute eine Dame kennen gelernt, eine gewisse Mrs. Hamilton. Sie hat viel zu erzählen, und amüsant ist sie auch, wenn man sich erst einmal an ihre unverblümte Art gewöhnt hat. Ihre Söhne haben eine Rinder- und Pferdefarm in den Northern Territorys mit sage und schreibe achttausend Quadratkilometern…« Inzwischen zweifelte Josie, ob sie recht gehört hatte. Das war einfach unvorstellbar. Vielleicht waren es Acres gewesen, aber selbst dann war die Besitzung immer noch unermeßlich groß. Wahrscheinlich sollte sie Jack gegenüber die Zahl nicht erwähnen, denn er würde behaupten, sie hätte sich geirrt. Eine törichte Närrin. Mit diesem Kosenamen bezeichnete er sie öfters. Es würde einsam werden auf der Cambray-Farm ohne Ned, denn er würde ihr schrecklich fehlen. Nachdem die Freude verflogen war, die sie verspürt hatte, als sie ihn zum College gebracht hatten, fürchtete sie sich vor der Heimkehr auf die Farm. Im Gegensatz zu seinem Vater hatte Ned ein fröhliches Naturell, und Josie war in seiner Gegenwart immer aufgelebt. Noch einmal sah sie vor sich, wie Ned mit seinem Lehrer davongegangen war. Er hatte vor Freude gestrahlt, als würde er nicht in die von Vorschriften angefüllte Welt eines Internats eintreten, sondern in die Freiheit entlassen. Die meisten anderen Jungen hatten traurig und unglücklich ausgesehen, aber nicht Ned. Er hatte sich nicht einmal nach ihnen umgesehen, so sehr freute er sich auf das, was vor ihm lag. In Gedanken versunken hatte sie die Begegnung mit Charlotte schon vergessen, als sie die Fliegengittertür öffnete und die dämmrige Halle der Pension betrat. Dort wartete ein Besucher auf sie. »Ich wollte es gerade schon aufgeben«, sagte er. »Vorhin habe ich Sie auf der Straße gesehen, aber dann aus den Augen verloren.« »Oh, Mr. Conal! Das ist aber eine Überraschung. Tut mir leid, daß Sie auf mich warten mußten.« Sie blickte sich um, um sich zu vergewissern, daß Jack nicht irgendwo im Dunkel der Halle verborgen war. »Ich war zum Tee im Royal Perth Hotel«, flüsterte sie. »Es war einfach wunderbar. Und was führt
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