Weites wildes Land
hinaufstieg. Jede Stufe machte ihr unsägliche Mühe, als ob sie ein Kreuz auf dem Rücken trüge. Sie bemerkte nicht einmal, daß er keine Antwort gab. »Ich glaube, ich lege mich ein bißchen hin«, sagte sie, nachdem er sie ins Schlafzimmer geschoben hatte. »Soll ich dir etwas bringen?« »Nein.« Mit geröteten, vom Weinen verschwollenen Augen blickte sie zu ihm hoch. »Oh, Logan, ich fühle mich so schuldig.« »Genau das wollte er auch erreichen. Gönne ihm diesen Triumph nicht. Vergiß nicht, er hätte sich ja nicht umzubringen brauchen. Er wollte sich nur an dir rächen. Und jetzt ruh dich ein wenig aus.« »Aber er ist tot, Logan. Er ist tot!« Sie wollte bemitleidet werden, aber er beschloß, ihr diesen Wunsch nicht zu erfüllen. »Gut. So sind wir ihn wenigstens los.« Josie, die gerade ihren Hut abnahm, hielt mitten in der Bewegung inne, so daß ihr die Hand mit der Hutnadel in der Luft erstarrte. »So etwas Schreckliches darfst du nicht sagen! Wie kannst du nur so gefühllos sein?« »Ohne die geringste Schwierigkeit. Dieser Mann war dir völlig gleichgültig, sonst hättest du ihn nicht verlassen. Ich verstehe, daß du wegen Ned traurig bist, aber verschone mich mit deinen Krokodilstränen über den irren Jack.« Er stürmte hinaus und knallte die Tür hinter sich zu. Er ließ sich auf der durchgesessenen Ottomane im Wohnzimmer nieder. »Tja«, seufzte er, »die erste Runde hast du wohl gewonnen, Jack, du mieser Schweinehund, und ich möchte wetten, daß du den nächsten Sieg auch schon in der Tasche hast.« Er wandte sich dem Umschlag zu, der auf der Rückseite den Regierungsstempel trug. Langsam und vorsichtig öffnete er ihn, als ob das eine Rolle gespielt hätte. Als erstes fiel ihm auf der fast leeren Seite Andersons verschnörkelte, gestochen saubere Unterschrift auf – die Nachricht darüber war kurz und unmißverständlich. »Angesichts der bedauerlichen Ereignisse«, las er laut, wobei er die Stimme des alten Mannes nachahmte. Dann übersprang er alles bis zur letzten Zeile, »… müssen wir von heute an leider auf Ihre Dienste verzichten.« »Ich verstehe«, sagte Logan zum leeren Zimmer gewandt. »Jetzt habe ich also eine trauernde Witwe und verzweifelte Mutter auf dem Hals und keine Arbeit. Und ich hasse dieses miese, schäbige Zimmer.« Wütend betrachtete er die Möbel um sich herum; das billige Sofa, den wackligen Tisch mit den nicht dazu passenden Stühlen, die alte Eichenkommode und die beiden lächerlichen Gemälde an der Wand. Früher hatte er solche Zimmer recht angenehm gefunden; man konnte die Füße hochlegen und brauchte sich um nichts mehr zu kümmern. Doch das schien Jahrhunderte her zu sein. Da klopfte es an der Tür. Draußen stand Charlie, mit Geschenken beladen. Er überreichte Logan einen Strauß Veilchen. »Die sind für deine Herzensdame. Ich dachte, sie fühlt sich vielleicht nicht ganz wohl. Und das da ist von Iris. Frauen sind einfach praktischer.« Iris hatte ihnen eine Schachtel belegter Brote geschickt, die mit hartgekochten Eiern garniert waren. Logan war überrascht. »Das ist aber nett von dir, Charlie. Und Iris…« »Du brauchst dich nicht zu bedanken. Deine Freunde im Esplanade hoffen, daß du jetzt die Ohren steif hältst. Iris sagt, auf den Broten ist Rindfleisch und selbst eingelegte Essiggurken. Also müßt ihr sie auch essen. Und das ist von mir.« Er hielt eine Literflasche Weißwein hoch. »Das ist ein gutes Tröpfchen. Wo steckt denn Josie?« »Sie ruht sich aus.« »Selbstverständlich. Also sprechen wir besser leise.« »Ja.« Logan holte zwei Gläser, und die beiden Männer ließen sich am Tisch nieder. Während Logan einschenkte, musterte Charlie ihn aufmerksam. »Der irre Jack hat sich also erschossen, was?« »Hat sich selber das Licht ausgeblasen«, bestätigte Logan. »Und jetzt macht sie sich Vorwürfe.« »Sie wird schon drüber hinwegkommen.« »Hoffentlich. Ich mach' mir jedenfalls keine Vorwürfe.« »Warum solltest du auch? Wahrscheinlich war er wieder stockbesoffen.« Logan nickte. Daran hatte er auch schon gedacht, es aber nicht ausgesprochen. »Die Farm hat gerade die richtige Größe«, fuhr Charlie fort. »Jetzt gehört sie wohl Josie.« »Nein, tut sie nicht. Er hat sie ihrem Sohn hinterlassen.« Charlie war enttäuscht. »Ich wußte gar nicht, daß sie einen Sohn haben.« »Er ist im Internat. Aber wir haben nicht nur die Farm verloren. Ich bin heute hinausgeworfen worden.« »Was? Davon wußte ich ja noch gar nichts.«
Weitere Kostenlose Bücher