Weites wildes Land
meinte Jones. »Aber eine Fahrgelegenheit? Da ist nichts zu machen. Die Rinderfarmen im Hinterland bekommen nur zweimal im Jahr Vorräte geliefert. Aber ich hör' mich mal um. Vielleicht ist ja jemand von der Farm in der Stadt. Am besten schreiben Sie ihr erst einen Brief.« Sibell glaubte, daß er, was die Vorräte anging, übertrieb. »Wenn sie nur zweimal im Jahr beliefert werden, was hat es dann für einen Sinn, wenn ich schreibe?« »Ein Brief kommt ziemlich schnell an«, erklärte der Hotelbesitzer. »Vielleicht schon in einer Woche. Die Post, die Zeitungen und andere Sachen werden von Reitern an den Depots abgeholt oder von einer Farm zur nächsten gebracht.« »Sehen Sie zu, was Sie herausfinden können«, bat Puckering den Wirt und nahm Sibell beiseite. »Ich kann nicht bleiben. Ich muß mich bei meiner Dienststelle melden. Wahrscheinlich tragen die sich schon, wo ich abgeblieben bin. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Ich kümmere mich schon darum, daß Sie Verbindung mit Mrs. Hamilton aufnehmen können.« Doch Mrs. Hamilton war Sibell auf einmal nicht mehr wichtig. »Ich glaube, ich spare mir diese Umstände, Colonel. Am besten bleibe ich hier in Palmerston. Die Leute hier sind so nett, und ich finde bestimmt rasch Arbeit.« »Das werden Sie auf keinen Fall tun. Diese Stadt ist nichts für eine junge Dame in Ihrem Alter und noch dazu ohne Begleitung. Schon auf den ersten Blick hätten Sie das sehen müssen. Ist Ihnen denn nicht aufgefallen, wie wenig Frauen es hier gibt? Es ist zu gefährlich.« »Lorelei hat auch keine Angst. Warum also sollte ich mich fürchten?« Er schnalzte ungeduldig mit der Zunge. »Bei Lorelei ist das etwas anderes. Sie müssen auf Ihren guten Ruf achten. Sie können nicht allein hierbleiben und Umgang mit Lorelei pflegen.« Erst jetzt ahnte sie, was er ihr mitzuteilen versuchte. Aber es gab für sie kein Zurück mehr, und darum widersprach sie ihm. »Sie können mich nicht zwingen, zu gehen.« »Ich vertrete hier das Gesetz. Wenn ich wollte, könnte ich Sie auf der Stelle ausweisen lassen.« »Ich dachte, Sie wären mein Freund«, schmeichelte sie. »Ich bin Ihr Freund, und ich werde Sie nicht im Stich lassen. Ich werde Ihnen Empfehlungsschreiben an anständige Leute in Perth mitgeben.« »Wie Ezra Freeman zum Beispiel!« sagte Sibell spitz. »Ich brauche Ihre Hilfe nicht, Colonel. Ich werde Mrs. Hamilton auch alleine finden. Vielen Dank.« Sie machte auf dem Absatz kehrt und eilte in den Salon, wo die anderen saßen. Doch trotz der ausgelassenen Stimmung machte es sie verlegen, neben Lorelei zu sitzen. Sie fragte sich, ob Michael und John über Lorelei Bescheid wußten. Erst dann dämmerte ihr, daß es den beiden Männern selbstverständlich klar war. Betrachteten sie Sibell etwa auch als leichtes Mädchen? Auf dem Schiff hatte auch Lorelei Heiratsanträge bekommen. Waren diese Männer etwa so verzweifelt, daß sie jede x-beliebige geheiratet hätten? Nun schmeckten alle Komplimente, mit denen man sie überschüttet hatte, schal, und um das Maß voll zu machen, kam der Wirt herein und stellte ihnen seine Frau vor, ein zierliches Chinesenmädchen, das kein Wort Englisch sprach. Da Sibell sich nicht entscheiden konnte, was sie tun sollte, blieb sie erst einmal sitzen und bemühte sich, freundlich zu sein, als mehr Champagner aufgetragen wurde und immer neue Gäste hinzukamen. Man begab sich in den Speisesaal, wo Sibell eigenartige chinesische Gerichte verzehrte. Zugegebenermaßen schmeckte das Essen, aber es wurde mit Reis serviert, der ihrer Ansicht nach nur in eine Nachspeise paßte. Sie fragte sich, ob Palmerston wirklich in einer englischen Kolonie lag und nicht etwa ein orientalischer Hafen war. Und als Sibell so allein in dem fremden Speisesaal saß, gingen ihr wieder beunruhigende Gedanken durch den Kopf. An Bord des Schiffes war sie so glücklich gewesen, doch der Colonel hatte mit seinen Bemerkungen alles zerstört. War Lorelei eine Dirne? Gewiß nicht. Und wenn es sich doch so verhielt, mußte der Colonel es die ganze Zeit über gewußt haben. Warum hatte er es ihr nicht erzählt? Hatten sie über ihre Unwissenheit gelacht? Sibell war so unglücklich, daß sie fast den Mut verloren und aufgegeben hätte. Nach all diesen Rückschlägen kam es ihr beinahe vor, als sei sie wirklich vom Pech verfolgt, und Furcht überkam sie, ein Unglücksfall könne auf den anderen folgen, bis sie sich irgendwann geschlagen geben mußte… »Niemand kümmert sich um mich«, sagte sie, zur
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