Welch langen Weg die Toten gehen
gewesen? Was zum Teufel hatte er da zu suchen?, wunderte sich Pascoe, während Kafka durch einen düsteren, holzgetäfelten Flur vorausging. Auf einem Tisch an der Tür stand eine abgenutzte Reisetasche aus Leder.
»Hier herein«, sagte Kafka und drückte die Tür zu einem langen, geräumigen Empfangszimmer auf, in dem Kay Kafka so graziös wie die Heldin in einem Jane-Austen-Film auf einer Chaiselongue saß. »Liebling, du hast Besuch.«
»Mr. Pascoe, wie schön, Sie zu sehen«, sagte sie. »Nehmen Sie doch bitte Platz.«
»Ja«, sagte Kafka. »Dort drüben, mit dem Rücken zum Licht, das ist die beste Position für das Verhör, oder? Nun, wollten Sie uns beide gemeinsam in die Mangel nehmen oder jeden einzeln?«
»Ich wollte nur mit Mrs. Kafka sprechen«, sagte Pascoe.
»Sie müssen meinem Mann verzeihen, Chief Inspector«, sagte Kay. »Tony, wenn das Kabarett vorbei ist, hast du vielleicht Lust, dich um Getränke zu kümmern. Kaffee? Tee? Oder etwas Stärkeres?«
»Es gilt nämlich herauszufinden, wie ernst es ist«, sagte Kafka. »Wenn Sie sagen, ›nicht im Dienst, Madam‹, wissen wir, dass wir uns auf die harte Tour gefasst machen müssen.«
»Ich glaube, Sie haben den falschen Krimi-Schund gelesen«, sagte Pascoe höflich. »Kaffee wäre nett. Espresso, falls es genehm wäre.«
»Falls es genehm wäre!«, wiederholte Kafka, als er den Raum verließ. »Das gibt’s nur in England!«
Irgendwo klingelte ein Telefon.
»Sie müssen Tony entschuldigen«, sagte Kay. »Er will nur für eine entspannte Atmosphäre sorgen.«
»Kein Problem. Ich mag Witzbolde«, murmelte Pascoe und setzte sich im rechten Winkel zum Fenster. »Und sicherlich bin ich entspannt. Schönes Haus, das Sie hier haben, Mrs. Kafka.«
»Ja, ist es wohl«, sagte sie. »Aber nicht unbedingt nach meinem Geschmack.«
»Nein?«, kam es von Pascoe überrascht.
»Nein«, antwortete sie bestimmt. »Tony hat es lange vor unserer Hochzeit gekauft und renoviert. Ich habe seitdem einige Änderungen durchführen lassen, aber die Grundstruktur ist doch ziemlich hartnäckig. Genau wie Tony.«
»Meiner Frau würde es gefallen«, sagte Pascoe.
»Wirklich? Wie geht es ihr übrigens? Wir haben uns an jenem Abend nur kurz gesehen, aber sie erschien mir als eine sehr fähige Lady.«
»Es geht ihr gut«, sagte Pascoe. »Hören Sie, ich bedaure, Sie damit belästigen zu müssen, aber es gibt einige Unstimmigkeiten zum traurigen Tod Ihres Stiefsohns, bei denen Sie vielleicht helfen könnten.«
»Unstimmigkeiten?«, sagte sie. »Ja, ich hätte mir denken können, dass zwangsläufig Unstimmigkeiten auftreten, wenn sich jemand auf so makabre Art und Weise umbringt.«
»Makaber?«, sagte Pascoe. »Sich zu erschießen ist leider gang und gäbe.«
»Aber es so auszuführen, dass es nahezu identisch mit dem Tod des eigenen Vaters ist, erscheint mir doch als ziemlich makaber«, erwiderte sie.
»Ja, wahrscheinlich«, sagte Pascoe, als wäre ihm dieser Gedanke noch nicht gekommen. »Was ging Ihrer Meinung nach in ihm vor, als er diese Entscheidung traf? Wollte er damit vielleicht eine Art Aussage verbinden?«
»Das bezweifle ich. Wohl eher wollte er sich damit in Szene setzen.«
»Ist das nicht ein wenig extrem? Ich meine, Leute, die sich in Szene setzen, wollen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, aber es hat ja nicht viel Sinn, wenn man dann die Aufmerksamkeit nicht mehr genießen kann.«
Sie schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, ich meinte damit nicht, dass das der Grund für seinen Selbstmord war. Weiß der Himmel, was dahinterstand, aber nachdem er entschlossen war, seinem Leben ein Ende zu setzen, wählte er, wie es seinem Naturell entsprach, einen besonders theatralischen Abgang. Ich bin keine Psychologin, aber es muss schon eine Menge Willenskraft vonnöten sein, wenn man es, angefangen von der Idee zum Selbstmord bis zur eigentlichen Ausführung, durchziehen will, und wenn man sich dabei an eine Art formale dramatische Struktur hält, hilft es vielleicht.«
»Gilt das Ihrer Meinung nach auch für den Selbstmord Ihres ersten Ehemannes?«, fragte Pascoe. »Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, wenn ich danach frage.«
»Nein, ich habe nichts dagegen. Ich habe oft darüber nachgedacht. Pal senior war so ganz anders als sein Sohn. Sich in Szene zu setzen hatte für ihn etwas Vulgäres. Er rühmte sich seiner Nüchternheit. Er war ein Geschäftsmann, und er war stolz darauf, und wenn man sich zu etwas entschlossen hatte, dann zog man es auch durch,
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