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Welch langen Weg die Toten gehen

Welch langen Weg die Toten gehen

Titel: Welch langen Weg die Toten gehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Schriftstellern, deren Anspielungen näher untersucht werden müssten? Will sie zum Beispiel, dass wir an Ino denken, die ihre Stiefkinder so sehr hasst, dass sie sich ihrem Zorn nur durch Flucht auf einem geflügelten goldenen Widder entziehen kann? Oder an Medea, die ihre Kinder tötet, die sie mit Jason hat, nachdem dieser sie betrügt? Oder … nun ja, Sie verstehen, was ich damit meine.«
    »Sie wusste mit ziemlicher Sicherheit um die Komplexität von Familienbeziehungen«, sagte sie. »Mutter, Bruder, Schwester, Schwägerin – das Material hätte für mehrere griechische Tragödien ausgereicht, durchsetzt vielleicht von einer seltsamen Komödie. Sie besaß einen trockenen Humor, wussten Sie das? Das sollte man sich immer vergegenwärtigen, bevor man ihre Worte allzu ernst nimmt.«
    Sie hielt inne, fixierte ihn mit ihren großen, offenen Augen und fragte ihn dann: »Warum sind Sie gerade an diesem einen Gedicht interessiert?«
    »Bin zufällig drübergestolpert«, sagte er und hielt ihrem Blick ohne zu blinzeln stand. »Sie kennen das sicherlich. Irgendwas taucht auf – ein Name, ein Ort, etwas, woran man seit Jahren keinen Gedanken mehr verschwendet hat –, und plötzlich findet man fast überall, wohin man auch sieht, Anspielungen darauf.«
    »Ja, ich kenne das Gefühl. Im Leben geht es immer nur um Muster, um Strukturen. Strukturen, die uns auferlegt werden, Strukturen, die wir anderen auferlegen. Ah, hier kommt ja Tony.«
    Kafka kam mit einem Tablett zurück.
    »Ein Espresso-falls-es-genehm-wäre«, sagte er. »Mr. Pascoe, wollen Sie mich aus irgendeinem Grund sprechen?«
    »Mir fällt auf die Schnelle keiner ein«, sagte Pascoe. »Wenn es für Sie also keinen gibt, dann nicht.«
    »Gut. Es ist nur so, dass ich in Kürze nach London muss. Mein Flieger startet morgen früh, weshalb ich in Heathrow übernachte.«
    »Ich habe nicht vergessen, dass ich dich zum Bahnhof fahren wollte«, sagte Kay. »Aber bis dahin ist noch mindestens eine Stunde Zeit.«
    »Hey, ich will keinesfalls euer Tête-à-Tête stören«, sagte Kafka. »Im Grunde könnt ihr so lange quasseln, wie ihr wollt. Ich bin gerade angerufen worden, muss noch mal zur Firma zurück. Wie immer, ich bin den ganzen Morgen da, nichts passiert. Aber sobald ich fort bin, braucht man mich. Wenn es dir nichts ausmacht, werde ich selbst fahren und den Wagen auf dem Parkplatz am Bahnhof lassen.«
    Er sagte es vielleicht eine Nuance zu beiläufig.
    »Wirklich«, sagte Kay. »Ich kann doch …«
    »Kein Problem«, sagte er. »Auf Wiedersehen, Mr. Pascoe. Bleiben Sie sitzen.«
    Er bot ihm wieder die Hand an. Dann ging er zu seiner Frau, beugte sich hinab, küsste sie flüchtig auf die Wange und sagte: »Ich ruf dich vom Hotel aus an.«
    Er ging hinaus. Nach kurzem Schweigen sagte Kay: »Entschuldigen Sie mich kurz, Mr. Pascoe. Ich hab was vergessen.«
    Sie erhob sich und ging ihrem Mann nach. Ihr zuzusehen, wie sie sich bewegte, wäre es wert gewesen, Geld dafür zu bezahlen, dachte sich Pascoe.
    Eine Anmut, die sich so beiläufig zeigte, dass man sie kaum bemerkte, bis einem bewusst wurde, dass man den Atem anhielt.
    Draußen holte Kay ihn ein, als er seine Reisetasche in den Kofferraum seines Wagens warf.
    »Tony«, sagte sie. »Ist alles in Ordnung?«
    »Keine Sorge«, sagte er gelassen.
    »Ich wünschte, ich würde mitkommen.«
    »Zur Fabrik?«
    »In die Staaten.«
    »Ja? Um dann jeden Tag die Zwillinge zu vermissen?«
    »Ich meine nicht für immer. Ich meine, damit ich da sein kann, wenn du dich mit Joe und den anderen triffst.«
    »Liebes, es gibt nichts, worüber du dir Sorgen machen musst. Wie ich dir schon letzten Abend nach dem Gespräch mit Joe gesagt habe, er hat kein Problem mit meiner Sicht der Dinge. Er meinte doch, es ist an der Zeit, vieles zu überdenken, es geht nicht mehr um die Politik, es geht jetzt um Patriotismus.«
    »Nein. Joe wird es immer nur um den Profit gehen, ganz egal, wie du es nennst.«
    »Hey, ich dachte, für den Zynismus wäre ich zuständig? Es wird keine Probleme geben. Bleib du hier, kümmere dich um Helen, damit sie zu der Mom wird, die du gewesen bist. Es wird alles in Ordnung kommen.«
    »Und wenn nicht? Was ist, wenn Joe nicht auf dich hören will?«
    Kafkas Gesichtsausdruck verhärtete sich.
    »Dann ist es Zeit für den goldenen Handschlag. Und vielleicht werde ich einigen dabei ein paar Finger brechen.«
    Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie zu erkennen geben, dass ihr nichts mehr zu sagen übrig

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