Welch langen Weg die Toten gehen
Jennison bekümmert. »Ich bin mir sicher, das war Dolores. Wie gesagt, als sie sich runtergebeugt hat …«
»Miss Upshott, die Schwester des Vikars, meinen Sie?«, sagte Pascoe ungläubig.
»Die war das?«, sagte Jennison und wirkte dabei noch bekümmerter. »Hören Sie, Sir, vielleicht hab ich mich geirrt, aber ich dachte, ich müsste es Ihnen sagen …«
»Ja, ja, schon gut. Hören Sie zu, Joker, wir unterhalten uns später darüber, okay?«
Er war jetzt eine Viertelstunde zu spät dran. Aber wenigstens nahm ihm der unwahrscheinliche Irrsinn dessen, was er soeben vernommen hatte, ein wenig von seiner Angst, als er sacht an die Tür zum Bau des Ungeheuers klopfte und dann hineinschlüpfte.
Es kam nicht häufig vor, dass die Atmosphäre in Andy Dalziels Büro als religiös beschrieben werden konnte, doch diesmal war es, als trete er in eine Quäkersitzung.
Der Dicke saß hinter seinem Schreibtisch, er hatte den Kopf geneigt, die Augen geschlossen. Vor dem Schreibtisch saßen Sergeant Wield und Shirley Novello und Hat Bowler (was zum Teufel machte der hier?).
Die Stille war vollkommen und resultierte nicht nur aus der vorherrschenden Lautlosigkeit, sondern auch aus der völligen Beziehungslosigkeit zwischen den Anwesenden untereinander und ihrer äußeren Umgebung. Sie waren in sich gekehrt, hatten Geist und Gedanken nach innen gerichtet, als könnte diese Stille erst brechen, wenn ihr inneres Licht sie dahin geleitete, ihrem Herzen Ausdruck zu verleihen.
Wie ein Trauernder, der zu spät zur Beerdigung erschien, glitt Pascoe leise zum leeren Stuhl.
»Er kommt, er kommt«, sagte der Dicke plötzlich. »Endlich kommt er. Ich spüre seine Präsenz unter uns, er, der mit diesem ganzen Scheiß angefangen hat.«
Irgendwie hatte Pascoe das Gefühl, dass er damit nicht den Paraklet meinte.
»Sir«, sagte er. »Tut mir leid, ist später geworden. Der Verkehr.«
»Auf der hohen intellektuellen Rennstrecke?«, sagte Dalziel mit spöttischem Zweifel. »Ist es möglich? Gut, rekapitulieren wir für den DCI . Wieldy, du als Erster. Mach dir keine Sorgen, dass ich schon alles gehört habe. Vielleicht klingt’s beim zweiten Mal ja besser.«
Der Sergeant blickte reumütig zu Pascoe und berichtete dann in aller Prägnanz, die so typisch für ihn war, dass man sie kaum noch wahrnahm, von seinem Besuch bei Jake Gallipot, bevor er mit den Worten schloss: »Bestätigung durch das Krankenhaus, dass er beim Eintreffen bereits tot war. Es bleibt die Obduktion abzuwarten, auf den ersten Blick aber spricht nichts gegen Tod durch Stromschlag. Kontusion am Hinterkopf, lässt sich dadurch erklären, dass er mit dem Kopf gegen einen scharfkantigen Gegenstand, etwa die Schreibtischkante, prallte, nachdem er durch den Schlag nach hinten geworfen wurde.«
»Aber so siehst du das nicht?«
»Jake kannte sich mit Computern aus. Er gehörte nicht zu den Typen, die drinnen herumstochern, ohne das Netzkabel zu ziehen.«
»Wenn man sich zu sicher fühlt, kann einen das umbringen.«
»Das hat Jim Collaboy auch gesagt. Trotzdem kam es mir verdächtig vor, dass es keine Backup-Disketten gab, aber das schien Collaboy nicht zu stören. Noch was: In der Schreibtischschublade lag eine Digitalkamera. Ich hab mir die Fotos angesehen. Hat mir alles nichts gesagt, bis auf das letzte. Ein Foto von einem Mann und einer Frau, die sozusagen mit heruntergelassenen Hosen abgeschossen wurden. Die Frau kenne ich nicht, aber der Typ, der sieht unserem Dr. Lockridge ziemlich ähnlich. Hat vielleicht nichts zu bedeuten, es sei denn …«
»Ah«, sagte Pascoe. »Du hast Mrs. Maciver noch nicht zu Gesicht bekommen, oder?«
»Nein«, sagte Wield.
»Dann will ich sie dir vorstellen.«
Pascoe zog den Beweisbeutel heraus, in den er die zerrissene Fotografie gesteckt hatte.
»Autsch«, sagte Novello über seine Schulter hinweg. »Wette, das hat wehgetan.«
Dalziel, der länger geschwiegen hatte, als sich je einer erinnern konnte, packte sich das Bild. »Softporno, was? Gut, Pete, klär uns auf, es sei denn, es ist ein Geheimnis.«
»Du kennst mich, Sir, ich glaube nicht an Geheimnisse«, sagte Pascoe und hielt unerschrocken seinem Blick stand. »Eine Frau, Mary Lockridge, nehme ich an, hat dieses Foto heute Morgen Sue-Lynn zukommen lassen. Zusammen mit einem beeindruckenden rechten Haken. Alles sehr interessant, aber ich weiß nicht, wohin uns das führen soll. Jetzt wissen wir wahrscheinlich, warum Maciver Gallipot angeheuert hat. Um seine Frau zu
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