Welch langen Weg die Toten gehen
beruhte ihre uneingeschränkte Kooperation mit uns wohl eher darauf, dass ihr bewusst wurde, in welcher Weise die Wahrheit ihr Verhältnis zu Helen beeinflussen konnte.
Ein Selbstmord war die naheliegende Lösung. Ein Sprung aus großer Höhe hätte als Erklärung für die Kopfverletzungen herhalten können, doch das hätte erfordert, ihn aus dem Haus und an eine entsprechende Stelle zu schaffen. Außerdem wäre die Tragödie dann nur schwer so hinzubiegen gewesen, dass der Tathergang selbst dem misstrauischsten Boulevardblatt als unanfechtbar erschien. Nein, es musste in situ sein, hinter einer verschlossenen Tür. Der Gewehrschrank im Arbeitszimmer lieferte die Waffe, und die sorgfältige Ausrichtung des Laufs würde dafür sorgen, dass die ursprüngliche Kopfverletzung verwischt werden konnte.
Natürlich sprachen wir mit Kay nicht alle Einzelheiten ab, aber sie sah ein, dass der Tod in jeder Hinsicht so authentisch wie möglich sein sollte, und statt das Risiko eines gefälschten Abschiedsbriefs einzugehen, schlug sie dann, auf Kafkas Aufforderung, vor, das Dickinson-Gedicht zu verwenden.
Sie hatte bereits ihre und die Koffer ihrer Stieftochter gepackt. Ich wies sie an, sie gleich in den Wagen zu laden, wenn sie Helen von der Schule abholte, und statt wie geplant nochmals nach Hause zu kommen, solle sie direkt zum Flughafen fahren und dort in einem Hotel übernachten und Helen erklären, dass für die Nacht strenger Frost angesagt sei, womit die Straßen über die Pennine früh am Morgen glatt sein könnten.
In den Staaten solle sie sich einen Wagen mieten und erst mal verschwinden. Je länger es dauern würde, um sie zu finden, desto mehr Zeit blieb ihr, sich wieder zu sammeln.
Kafka zweifelte keinen Augenblick daran, dass sie damit fertig werden würde, und je mehr ich von ihr mitbekam, umso beeindruckter war ich. Erst einmal motiviert, ging sie alles mit Entschlossenheit an, und bald darauf war sie unterwegs, um Helen abzuholen. Kafka und ich stimmten überein, dass es das Beste sei, wenn wir zwischen Kays Abfahrt und Macivers Tod einen genügend großen Zeitraum setzten, um jeden Verdacht über Ursache und Wirkung zu zerstreuen. Wir einigten uns auf den zwanzigsten März. Kafka nahm es auf sich, Beweise zu liefern, dass Maciver immer drängender versucht hatte, ihn in diesem Zeitraum telefonisch zu erreichen, während ich meine speziellen Fertigkeiten zum Einsatz brachte, um den vorgetäuschten Selbstmord in Szene zu setzen.
Wie alles hingedreht wurde, haben Sie natürlich längst eruiert, darunter zweifellos auch das verbrannte Papier im Papierkorb, um alle Aschespuren zu verwischen, die von dem verbrannten Faden übrig geblieben waren.
Was ich dabei verbrannte, war der Brief des Sohnes – ich wollte nicht, dass er herumlag – sowie einige Seiten Briefpapier, um den Eindruck zu erwecken, er hätte sich an die Abfassung eines Abschiedsbriefes gemacht, dies dann aufgegeben und sich für das Gedicht entschieden.
Das war alles, fürchte ich, sehr nach Agatha Christie, aber ich musste extemporieren. Wäre mir etwas mehr Zeit und die Hilfe eines voll ausgerüsteten Teams zur Verfügung gestanden, hätte ich alles sehr viel anders gemacht, aber nur in den Fantasiewelten des Kinos und des Fernsehens ist es möglich, dass solches Fachwissen in null Komma nichts bereitgestellt werden kann. Wie auch immer, in englischen Vororten bleibt den Blicken der Nachbarn nichts verborgen, je weniger also um das Haus herum los war, umso besser.
Trotzdem wäre ich beinahe in die Klemme geraten. Nachdem alles fertig war, überprüfte ich kursorisch die Umgebung und verließ dann das Haus. Ich hatte soeben die Tür geschlossen, als ich ein Geräusch hörte, ich drehte mich um und sah eine Frau durchs Gebüsch kommen. Es war, wie ich später erfuhr, Miss Lavinia Maciver. Ihre Begrüßung erschien mir damals als exzentrisch, muss aber als typisch für sie gelten, wie mir bei näherer Bekanntschaft alsbald klar werden sollte.
»Hallo«, sagte sie. »Ich bin ja so froh, dass die Grünspechte noch da sind.«
»Ja?«, sagte ich.
»O ja. Kommen Sie mit und sehen Sie selbst.«
Und ehe ich mich versah, wurde ich durch den Garten geführt, damit ich in ein Loch in einer halb verfallenen Buche spähen konnte, um die angeblich so deutlichen Anzeichen von Nistaktivitäten zu bewundern.
Ich brachte Interesse und Bewunderung zum Ausdruck und schaffte es endlich, herauszufinden, wer sie war. Mich selbst stellte ich in meiner Rolle
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