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Welch langen Weg die Toten gehen

Welch langen Weg die Toten gehen

Titel: Welch langen Weg die Toten gehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Mann stand davor. Auch er hatte einen Spazierstock, aber einen aus Ebenholz mit einem silbernen Knauf in Form eines Falkenkopfes, und er trug einen schwarzen Filzhut, den er zur Begrüßung abnahm. »Einen guten Morgen, Miss Mac.«
    »Ihnen auch, Mr. W.«, sagte die Hexe. »Warum so förmlich? Sie hätten doch einfach hintenrum kommen können.«
    »Tut mir leid, es ist noch so früh, da dachte ich, ich sollte mich vergewissern …«
    »Dass ich schicklich gekleidet bin? Wie aufmerksam. Aber Sie wissen doch, wie es im Blacklow Cottage ist: Raus mit den Vögeln, was anderes bleibt einem nicht übrig. Kommen Sie rein.«
    Sie führte den Neuankömmling in die Küche. Er bewegte sich leichthin, nur sein linkes Bein zog er kaum wahrnehmbar nach, was vermuten ließ, dass sein Stock, anders als jener der Frau, nicht nur der Zierde diente. Als er Hat erblickte, blieb er abrupt stehen.
    »Tut mir leid«, sagte er erneut. »Wusste nicht, dass Sie einen Gast haben.«
    »Bis vor fünf Minuten wusste ich es auch nicht«, sagte die Hexe. »Mr. Waverley, darf ich vorstellen … oh, ich glaube, ich kenne Ihren Namen nicht.«
    »Hat«, sagte Hat. Irgendetwas bei all diesen Namen erfüllte ihn mit leisem Unbehagen. Waverley war es nicht, das sagte ihm nichts. Aber Blacklow Cottage, das kam ihm irgendwie bekannt vor …
    »Mr. Hat«, sagte die Hexe. »Nehmen Sie Platz, Mr. W. Ich mache gerade eine frische Kanne Tee.«
    Sie wandte sich zum Herd. Hat betrachtete Waverley offen und ohne die geringste Verlegenheit. (Es war ja sinnlos, in einem Traum verlegen zu werden.) Waverley erwiderte den Blick mit ebensolcher Gemütsruhe. Er war Anfang sechzig, von mittlerer Größe, schlank, mit langem, schmalem Gesicht, sorgsam frisiertem, kräftigem, wenngleich silberfarbenem Haar, wachsamen bläulich grünen Augen und der verständnisvollen Miene eines weltlichen Priesters, der schon alles erlebt hatte und auf Heller und Pfennig genau sagen konnte, wie teuer der Preis der Vergebung sein dürfte. Er trug einen wunderschön geschnittenen grauen Mohairmantel, der Hat daran erinnerte, dass es trotz des Sonnenscheins ein schneidend-kalter Morgen war.
    Er zitterte, und dieser Einbruch des Meteorologischen beunruhigte ihn ebenso wie der Name des Cottage. Erst das Essen, jetzt das Wetter …
    »Wohnen Sie hier in der Nähe, Mr. Hat?«, fragte Waverley.
    Er besaß eine sanft modulierte Stimme, die vielleicht einen schwachen schottischen Akzent aufwies.
    »Nein«, sagte Hat. »Ich hab mich im Wald verlaufen.«
    »Im Wald?«, wiederholte der Mann in leicht verdutztem Ton.
    »Ich denke, Mr. Hat meint den Blacklow Wood«, sagte die Hexe mit einem netten Lächeln.
    »Natürlich. Und Sie haben ganz Recht, Mr. Hat. Wie Sie sicher wissen, gehörten dieser und die zwei, drei anderen kleinen Baumbestände, die es hier noch gibt, früher einmal zum großen Blacklow Forest, in dem die Plantagenets gejagt haben.«
    Erneut dieses Blacklow. Diesmal brach der dünne Eisfilm, durch den er Träume und Realität gleichermaßen betrachtete.
    Jetzt erinnerte er sich.
    Ein nasskalter Herbsttag … aber sein MG war erfüllt von Licht, als er mit der von ihm geliebten Frau an seiner Seite tief ins Herz des ländlichen Yorkshire gefahren war.
    Und zu den kleinen, noch vorhandenen Flecken des Blacklow Forest hatte auch das Gehölz gehört, aus dem das Reh sprang, das seinen Wagen schleudernd zum Halten brachte. Er und sie hatten sich dann durch eine Hecke gezwängt, sich unter eine Buche gesetzt, Kaffee getrunken und sich offener und persönlicher unterhalten als jemals zuvor. Es war ein Meilenstein auf ihrer, wie sich herausstellen sollte, viel zu kurzen Reise.
    Gestern war er zur gleichen Stelle hinausgefahren und hatte sich unter denselben Baum gesetzt, ohne auf die einbrechende Dunkelheit zu achten noch auf den dichter werdenden Nebel. Und ebenso wenig hatte er sich darum gesorgt, als er sich endlich erhob und sich auf den Rückweg zum Wagen machte, bis er feststellte, dass er sich verirrt hatte. Eine unbestimmte Zeitspanne lang wanderte er ziellos umher, durch struppiges Gras, über sumpfige Felder, bis er sich unter einen Baum plumpsen ließ und einschlief.
    Der Nebel hatte sich gelichtet, die Nacht war vorüber, die Sonne aufgegangen, und er, unter Zweigen aufgewacht, hatte sich vorgestellt, dass er noch immer schlief und träumte …
    Die Frau stellte die Teekanne auf den Tisch und sagte: »Also, Mr. W., was führt Sie so früh zu mir?«
    Der Mann sah zu Hat,

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