Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Welch langen Weg die Toten gehen

Welch langen Weg die Toten gehen

Titel: Welch langen Weg die Toten gehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
Vom Netzwerk:
unbedingt zu jenen, für die sie große Sympathie hegte, dennoch unterließ sie es lieber, sich allzu negativ über ihn zu äußern. Vergangenen September hatte sich alles in Tony Kafka danach gesehnt, endlich und für immer nach Hause zurückzukehren. Aber als Helen im dritten Monat schwanger war, wusste er, was das für seine Frau bedeutet hätte. Also war er noch immer hier, und Joe Proffitts Geschäftssinn hatte, so weit sie es beurteilen konnte, nicht den leisesten Knacks bekommen.
    »Ja, ich sollte öfter fliegen. In die Staaten kommt man schneller als mit diesen gottverdammten Zügen nach London«, grummelte er. »Schau mich nur an, ich steh bei Sonnenaufgang auf, damit ich dann einige hundert Kilometer weiter zum Mittagessen einlaufen kann.«
    »Hast du noch Zeit für ein Frühstück?«, fragte sie.
    »Nein danke. Ich besorg mir was im Zug. Wann bist du letzte Nacht nach Hause gekommen?«
    »Spät. So um zwei, ich weiß es nicht. Du hast nicht gewartet.«
    »Wozu? Du brauchst keinen Schlaf, aber ich, vor allem, wenn ich früh rausmuss und ein langer Tag ansteht, an dem ich auch noch in einer Fremdsprache reden muss.«
    »Ich dachte, du würdest dich nur mit Warlove treffen?«
    »Den meinte ich mit der Fremdsprache.« Sie lächelten sich an. »Außerdem sagtest du letzte Nacht am Telefon, dass es nichts gäbe, was mir den Schlaf rauben sollte. Hat sich daran was geändert? Ich werde gefragt werden.«
    »Glaubst du wirklich, die wissen das schon?«
    »Ich würde darauf wetten.«
    »Wird wohl kaum hohe Wellen schlagen«, sagte sie und schenkte sich Kaffee ein. »Eine persönliche Tragödie, mehr nicht. Hauptsache, Helen geht es gut, und den Zwillingen scheint es nicht geschadet zu haben, dass sie etwas früher gekommen sind.«
    »Gut. Im Moscow House geboren? Was für ein Ding!«
    »Genau wie ihre Mutter. Der Natur gefällt es, sich in gewissen Mustern zu wiederholen. Sie will das Mädchen Kay nennen.«
    »Ja, das hast du schon gesagt. Und den Jungen?«
    »Letzte Nacht hat sie was von Palinurus gefaselt. Natürlich ist sie sehr mitgenommen, nach allem, was geschehen ist. Später wird sie vielleicht zu der Einsicht gelangen …«
    »Dass es ein böses Omen wäre? Richtig. Und dein fetter Freund strahlt bis über beide Ohren, oder?«
    »Nachgestellter Selbstmord, keine Probleme.«
    »Nachgestellter Selbstmord? Das findet er kein bisschen merkwürdig?«
    »In seinem Job ist er vermutlich an Merkwürdigkeiten gewohnt. Ich bin mit ihm heute noch auf einen Drink verabredet, er wird mich also auf den neuesten Stand bringen.«
    »Auf den neuesten Stand bringen? Heißt das in diesem Fall, Sex zu haben?«
    »Andy versucht es nicht. Er ist ein netter Mensch, trotz seines Aussehens.«
    »Ja«, sagte er wenig überzeugt.
    Die Stille, die sich zwischen sie legte, wurde durch den fernen Schlag einer alten Standuhr in der Eingangshalle des Haupthauses unterbrochen. Obwohl die Uhr aussah, als wäre sie fast so lange hier wie das Haus, war sie tatsächlich erst nach den Hausbesitzern gekommen. Kay hatte sie in einem Antiquitätengeschäft in York entdeckt. Als sie auf die Inschrift auf dem Messing-Ziffernblatt zeigte –
Hartford Connecticut 1846
 –, hatte Tony gelacht und gesagt: »Na, endlich mal die Zeit der Amerikaner!« Sie hatte sie dann später als Geburtstagsgeschenk für ihn gekauft, worüber er regelrecht gerührt war. Es stellte sich heraus, dass sie einen ziemlich lauten Schlag hatte, den sie dämpfen wollte, wogegen er sich jedoch sperrte. »Wir müssen uns hier doch Gehör verschaffen!« Im Gegenzug gab er nach, als sie sich seinem Vorschlag widersetzte, die Uhr fünf Stunden der Mittleren Greenwich-Zeit nachzustellen.
    Dröhnend schlug sie nun achtmal.
    »Ich muss los«, sagte Kafka. »Lass mich wissen, wie’s mit Mr. Fettwanst läuft, falls du einen Moment Zeit finden solltest.«
    »Klar. Tony, du machst dir keine Sorgen?«
    »Nein. Ich will den Dreckskerlen nur zeigen, dass ich die Dinge im Griff habe.«
    »Du bist dir sicher, dass es nicht sie sind, die dich im Griff haben?«
    »Warum sagst du das?«
    »Weiß nicht … manchmal bist du so unruhig … letzte Nacht hast du dich im Bett hin und her geworfen, als wärst du auf hoher See.«
    Kurz schien er ihren Einwand abtun zu wollen, dann zuckte er mit den Schultern und sagte: »War nur die alte Sache. Im Traum höre ich den Feueralarm, ich weiß, ich muss nach Hause, und finde den Weg nicht …«
    »Dann wachst du auf und bist zu Hause, und alles ist

Weitere Kostenlose Bücher