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Welch langen Weg die Toten gehen

Welch langen Weg die Toten gehen

Titel: Welch langen Weg die Toten gehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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Hindernisse im Weg standen, sondern weil er herausfand, wie schrecklich die Hoffnung wirklich sein konnte.
    So verspürte er also gleichermaßen große Enttäuschung und große Erleichterung, als er aus den Bäumen auf eine sonnendurchflutete Lichtung trat und auf einen Pfad stieß, der ihn zu …
    … zu einem Lebkuchenhaus führte!
    Er wusste, wo er war. Und er wusste, warum seine arme gequälte Seele sich dafür entschieden hatte, hierher zu entfliehen. Denn dies war das Land der Kindheit, eine Zeit vor aller Liebe, vor allem Schmerz und allem Verlust.
    Natürlich war das in den Geschichten nicht so. Es waren Hänsel und Gretel, die sich im Wald verliefen und das Lebkuchenhaus fanden. Nur dass es kein Haus war, sondern eine Falle, aufgestellt von der bösen Knusperhexe. Man knabberte am Lebkuchen, und sie fing und verwandelte einen in Lebkuchen, damit andere daran knabbern konnten.
    Also gut, du böses Frauenzimmer, du Hexe! Er hatte keinen Hunger. Und Lebkuchen mochte er sowieso nicht.
    So unbeschwert wie zerstreut schritt er voran. Sofort stotterte eine Amsel, die sich unter einen Busch mit Schwarzen Johannisbeeren drückte, ihren Alarmschrei, und Hat blieb stehen, als die Knusperhexe aus der offen stehenden Tür ihres Hauses trat.
    Sie war groß und hatte ein breites Gesicht, ihr kräftiges graues Haar war ordentlich zu einem Knoten gesteckt, darüber thronte ein kleiner Federhut. Eine Nickelbrille, bei der ein Bügel mit Heftpflaster repariert war, saß auf ihrer leicht nach oben gebogenen Nase. Sie trug ein himmelblaues T-Shirt und eine olivgrüne Hose, die sie in schwarze Gummistiefel gestopft hatte. Keinen Besen, allerdings hatte sie einen groben Spazierstock in der Hand, von dem sie im Notfall Gebrauch machen konnte. Davon abgesehen sah sie überhaupt nicht hexenhaft aus. Im Gegenteil, ihr Äußeres kam ihm irgendwie vertraut vor …
    Dann flog die Amsel auf und ließ sich auf ihrer Schulter nieder, und das Federhütchen erhob sich auf ihrem Haarknoten und spreizte die Flügel, und er sah, dass es eine Kohlmeise war.
    Träume sind wie Verrückte – letztendlich verraten sie sich immer selbst.
    Beruhigt und neugierig, wohin dies alles führen mochte, setzte er sich wieder in Bewegung.
    »Einen guten Morgen Ihnen«, sagte die Knusperhexe.
    »Und Ihnen auch«, sagte Hat. »Welch wunderschöner Tag.«
    Je näher er kam, umso mehr wurde ihm bewusst, dass er hier äußerst vorsichtig sein musste. Als sie erkannte, dass er nicht verrückt war nach Lebkuchen, sondern Vögel liebte, hatte sie das Haus in ein einfaches strohgedecktes Cottage verwandelt, erbaut aus dunkel-orangeroten Backsteinen und ingwerfarbenen Fliesen, durch dessen Fenster die Vögel ein- und ausflogen.
    Es gab noch mehr. Als er näher kam, wurde ihm klar, warum sie ihm irgendwie vertraut vorkam. Es lag an ihrem himmelblauen T-Shirt, das mit dem Bild eines kleinen segelnden Vogels bedruckt war und die Aufschrift
Rettet die Feldlerche
trug.
    Sie sagte »Schau an« und sah lächelnd auf seine Brust.
    Er sah an sich hinab und stellte fest, dass er das gleiche T-Shirt trug. »O ja«, sagte er.
    Er sah zur Amsel auf ihrer Schulter. Musternd erwiderte sie den Blick.
    »Redet sie?«, fragte er.
    »Reden?« Sie runzelte die Stirn. »Das ist eine Amsel, kein verdammter Papagei.«
    Als wäre auch er beleidigt worden, breitete der Vogel die Schwingen aus und sprang Hat auf den Kopf. Hat duckte sich, spürte den Schnabel durchs Haar streichen, dann war er fort.
    »Mein Gott«, keuchte er.
    »Sie sollten nicht mit Zweigen in den Haaren rumlaufen«, sagte die Hexe. »Sonst glaubt Crackpot wahrscheinlich, dass Sie Nistmaterial für ihn gesammelt haben.«
    Hat fasste sich mit der Hand an den Kopf und musste feststellen, dass sie Recht hatte. In seinen Haaren hatte sich einiges vom Unterholz verfangen, aber wenigstens hatte er dort kein Meisennest.
    »Crackpot?«, sagte er.
    »Als er das erste Mal ins Haus kam, wollte er sich auf dem Henkel eines Sahnekännchens niederlassen. Der Pott fiel runter und ist zerbrochen. Deshalb Crackpot. So, kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«
    »Ich hab mich im Wald verlaufen …«
    »Wald!« Das schien sie zu amüsieren. »Na, wenn Sie sich einfach an den Weg halten, der um meinen Garten herumführt, sind Sie in ein paar Minuten an der Straße.«
    »Ihr Garten?«, sagte er und sah sich um.
    Noch ein Zauber. Die Lichtung war jetzt von einer verwilderten Dornenhecke mit einem klapprigen Weidentor umschlossen. Der Boden

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