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Welch langen Weg die Toten gehen

Welch langen Weg die Toten gehen

Titel: Welch langen Weg die Toten gehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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dem kargen Frühstück ein wenig eingetrübt hatte, und nachdem er dies auf seine unausweichliche Abwesenheit am freien Morgen seines Lebensgefährten zurückführte, entschuldigte er sich erneut, bevor er aufbrach, und fügte hinzu: »Na, du kommst doch an der Abzweigung vorbei. Schau doch rein, dann können wir zusammen noch zu Mittag essen. Ich lade dich ein.«
    »Soll mir ein Vergnügen sein«, sagte Wield.
    Tatsächlich hatte die offensichtliche Eintrübung seiner Laune nichts mit Edwins Abwesenheit zu tun, sondern war nichts anderes als eine nachdenkliche Stimmung, hervorgerufen von den Nachrichten des örtlichen Radiosenders, der von Palinurus Macivers Tod im Moscow House vergangene Nacht berichtet hatte.
    Um Mittag, als die Sonne hoch am nahezu wolkenlosen Himmel schwebte und der Nebel und die Kühle der vergangenen Nacht sich aufgelöst hatten wie ein Traum, war kein Platz mehr für nachdenkliche Stimmungen, und während er auf seiner Thunderbird über die schmale Straße nach Eendale fuhr, sang er mit einer Stimme, bei der sich eine Krähe gewunden hätte: »
Die Blumen, die blühen im Mai, tra la, sie künden und sind Sonnenschein.
«
    Bei seiner normalerweise bevorzugten Geschwindigkeit wären ihm die Worte im Halse stecken geblieben, heute jedoch bewegte er sich mit einem Tempo, das gemächlich genug war, um, wenn schon nicht den Duft der Blumen zu genießen, an denen er vorüberfuhr, so doch zumindest die ganze Schönheit der Landschaft in sich aufzunehmen, die in einer einzigen Nacht die Kraftlosigkeit des Winters abgeschüttelt und sich in voller Frische erhoben hatte, um sich in klaren, hellen Frühlingsgewändern zu präsentieren.
    Schließlich verließ die Straße das Tal mit seinen steilen Hängen und ging in eine flachere, eher konventionelle pastorale Landschaft über, die in ihrer frühlingsgrünen Mannigfaltigkeit aber nichts an Attraktivität einbüßte. Einige Kilometer weiter lag die Kreuzung mit der Ost-West-Magistrale, dem schnellsten Weg in die Stadt, wenn man es eilig hatte, wie es bei Wield gewöhnlich der Fall war. Heute jedoch bog er etwa eineinhalb Kilometer vor der Verkehrsader links ab auf eine, wie es dem zufälligen Touristen erscheinen musste, liebenswürdige kleine Landstraße. Doch auch diese hatte einst das geschäftige Treiben und die Selbstgefälligkeit einer Haupt- und Durchgangsstraße genossen, bevor die Straßenverbesserer der Sechziger eine bessere Trasse für die wichtigste Ost-West-Route entdeckt hatten.
    Wer einen Bauernhof oder ein Haus an der alten Hauptstraße besaß, hatte mit großer Erleichterung zur Kenntnis genommen, dass die neue Verkehrsader ihn in keiner Weise tangierte, außer dass sie seinen Alltag sehr viel friedlicher gestalten würde. Nur der Besitzer des Goldenen Vlies, der alten Kutsch- und Poststation am Gallow’s Cross, war bestürzt darüber, und das zu Recht. Durch den ausbleibenden Verkehr, der eineinhalb Jahrhunderte dem Vlies regen Zulauf beschert hatte und nun drei Kilometer weiter südlich mit vermehrtem Schwung vorbeirauschte, verkam das Lokal bald zu einem heruntergewirtschafteten Landpub, bei dem nur noch die unpassenden Dimensionen an die alten glorreichen Tage erinnerten.
    Dann, gerade als die Gerüchte sich häuften, man wolle es ganz abreißen, um Platz zu schaffen für einen großangelegten Schweinemastbetrieb, wurde es in den Achtzigern von einer nationalen Hotelkette aufgekauft, die sich auf Einrichtungen spezialisiert hatte, welche die snobistischen Attraktionen eines ländlichen Hotels mit dem geschäftlichen Anreiz eines Konferenzzentrums samt Wellness- und Freizeitclub zu verbinden wussten.
    Die alte Kutschstation wurde von Grund auf renoviert und ausgebaut, um alle notwendigen Annehmlichkeiten des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts bieten zu können. Das Ergebnis hätte nicht unbedingt Prinz Charles’ Gefallen gefunden, aber durch die schnelle Anbindung an die Fleischtöpfe des urbanen Mid-Yorkshire in der einen Richtung und an die Schönheiten des ländlichen Mid-Yorkshire in der anderen konnte sowohl die Nachfrage jener befriedigt werden, die auf Ruhe und Frieden aus waren, als auch derer, die unbeschwerte Geselligkeit auf Firmenkosten suchten.
    Als Kutschstation besaß das Goldene Vlies natürlich einen Eingang, der unter einem Torbogen direkt von der Straße in den Hof führte, was in Zeiten, in denen mehrere Dutzend Wagen erwartet wurden, allerdings wenig praktikabel erschien, weshalb man sich nun auf einer lang

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