Welch langen Weg die Toten gehen
mehr da sein, wenn mein Vater zurückkehrte. Ich brauchte Zeit, damit ich mir überlegen konnte, wie ich mit der Situation umgehen sollte. Sie grüßte mich freundlich und unbeschwert, als hätte dieser Vorfall nie stattgefunden. Sie klang so überzeugend, dass ich kurz an meiner eigenen Wahrnehmung zweifelte! Dann erinnerte ich mich an die Kratzer auf dem Rücken.
Ich sagte ihr, dass ich mich ernsthaft mit dem Gedanken trage, meinem Vater alles zu erzählen. Sie lachte nur und meinte: »In diesem Fall werde ich ihm vielleicht mitteilen, dass du mir all die Jahre über nachgestellt hast. Das war gerade noch zu ertragen, solange du ein pubertierendes Jüngelchen warst. Aber mich zum Sex zu zwingen, nachdem du jetzt, zumindest auf dem Papier, ein erwachsener Mann bist, ist was anderes. Das ist versuchte Vergewaltigung.«
Ich stürmte davon. Alles andere wäre vollkommen sinnlos gewesen. Auf der gesamten Fahrt nach Cambridge überlegte ich hin und her, wie ich es Dad sagen sollte. Diesmal würde ich nicht länger schweigen können, das war mir klar. Die Schlampe wollte in ein paar Tagen Helen auf eine Reise in die Staaten mitnehmen, und ich vermutete, dass sie mit ihm zuerst darüber reden wollte, weil sie Angst hatte, was Cress und ich ihm erzählen würden, wenn wir ihn in den Osterferien für uns hatten.
Da ich den Gedanken nicht ertragen konnte, es ihm von Angesicht zu Angesicht zu sagen, rief ich ihn zunächst in London an. Aber ich war feige, und er gab sich so distanziert und abgelenkt, dass ich am Ende unseres Gesprächs nicht ein Wort darüber herausgebracht hatte. Erst später kam mir der Gedanke, dass er vielleicht so abgelenkt klang, weil die Schlampe bereits ihr Gift verspritzt und ihn gegen mich aufgebracht hatte. Ich musste was unternehmen. Ich hätte da sein sollen, als er zurückkehrte – oh, wie sehr wünschte ich mir, ich wäre da gewesen –, aber ich zog erneut den Schwanz ein und schrieb stattdessen einen Brief. Er hätte ihn am Tag vor Kays und Helens Abflug nach Amerika erhalten sollen.
Ich dachte, er würde mich daraufhin sofort anrufen. Er tat es nicht. Ich gab ihm einen Tag und rief dann an. Niemand ging ran.
Dabei beließ ich es. Es war am Ende des Trimesters, in ein paar Tagen würde ich sowieso zu Hause sein. Dann könnten wir reden.
Dann hab ich ihn gefunden. Na ja, das wissen Sie ja. Ich war es, der ihn gefunden hat, Gott steh mir bei.
Hat er meinen Brief noch erhalten? Ich glaube schon. Ich gehe davon aus, dass es der Brief war, den er im Papierkorb verbrannt hat.
Hatte er noch Zeit gehabt, etwas zu Kay zu sagen, bevor sie abreiste? Ich wette, dass er es getan hat. Aber die Schlampe war natürlich darauf vorbereitet. Vielleicht war sie meinen Anschuldigungen bereits mit ihrer Version zuvorgekommen. Da stand er also und konnte sich entscheiden, ob er seine Frau für eine zügellose Schlampe halten sollte, die sich seinem Sohn aufdrängte, oder ob sein Sohn ein niederträchtiges Monster war, das seine Frau zu vergewaltigen versucht hatte.
Er konnte es drehen und wenden, wie er wollte, beides bedeutete für ihn die Hölle. Irgendetwas in ihm zerbrach, und er entschied sich für die einzige Möglichkeit, die ihm scheinbar noch blieb. Und alles wegen dieser Schlampe!
Sie war vielleicht nicht bei ihm im Arbeitszimmer, und vielleicht hat sie nicht den Abzug betätigt, aber sie hat ihn dazu getrieben, und ich zweifle nicht, dass sie es bewusst getan hat. Ich glaube, sie spürte sehr gut, wie prekär sein Zustand war, sie stieß ihn so nah an den Abgrund, wie es nur möglich war, und dann reiste sie ab. Wahrscheinlich sagte sie ihm, wenn er die Angelegenheit für sich nicht geregelt bekäme, würde sie mit ihrer Version an die Öffentlichkeit treten, mich wegen versuchter Vergewaltigung anzeigen und die Polizei einschalten. Sie wollte ihm klar machen, dass seine Familie auseinander gerissen werden würde, egal was er tat. Außer, wenn er sich vorher den Kopf wegknallte.
Dann flog sie in die Staaten. Sie wollte fort sein, falls und wenn es geschah. Sie muss vor Freude Luftsprünge vollführt haben, als sie davon erfuhr. Jetzt hat sie alles. Meine Schwester Helen. Einen großen Teil seines Vermögens. Und jetzt kann sie so viel Zeit mit ihrem tollen Typen verbringen, wie sie will, diesem Schleimbeutel und Yankee Kafka.
Sie müssen zugeben, dass sie keinen Hehl daraus macht. Sobald ihr bewusst wurde, dass sie nicht mehr ins Moscow House kam, wohin ging sie? Raus zu seinem
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