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Wellenbrecher

Titel: Wellenbrecher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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von ihren fünfundneunzigjährigen Schwiegereltern hielt.
    »Ich bitte Sie, dazu bin ich doch da, Jane.« Er gab ihr einen aufmunternden Klaps auf die Schulter.
    »Nein, eben nicht. Sie sollten den Ganoven die Hölle heiß machen«, entgegnete sie und gab damit die Meinung zahlloser Menschen im ganzen Land wieder, die die Polizei einzig als eine Organisation zur Verbrecherjagd sah. Sie stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus. »Die beiden geben einfach viel mehr Geld aus, als sie haben, aber sie sind nicht fähig, das zu begreifen. Die Haushaltshilfe allein kostet über zehntausend Pfund im Jahr. Peter wird auch noch das Familiensilber verhökern müssen, um über die Runden zu kommen. Die armen Narren scheinen zu glauben, sie lebten immer noch in den zwanziger Jahren, als ein Hausmädchen fünf Schilling die Woche bekam. Es ist zum Verrücktwerden, wirklich. Sie gehören in ein Heim, aber Peter ist viel zu weich, um sie dort unterzubringen. Andererseits können sie sich das überhaupt nicht leisten. Ich meine, wir können es uns nicht leisten. Es wäre was andres, wenn Celia Jenner uns nicht überredet hätte, alles auf Maggies fürchterlichen Ehemann zu setzen, aber -« Mit einem hoffnungslosen Achselzucken brach sie ab. »Manchmal werd ich so wütend, daß ich laut schreien könnte, und das einzige, was mich dran hindert, ist die Angst, daß der Schrei niemals aufhören würde.«
    »Alles hört einmal auf«, sagte er.
    »Ich weiß«, sagte sie trotzig, »aber manchmal denke ich ernstlich dran, kurzen Prozeß zu machen. Es ist wirklich schade, daß man nicht mehr einfach in den Laden gehen und Arsen kaufen kann. Früher war das überhaupt kein Problem.«
    »Tatsächlich? Erzählen Sie doch mal.«
    Sie lachte. »Sie wissen schon, was ich meine.«
    »Soll ich eine Obduktion anordnen, wenn Peters Eltern endlich das Zeitliche segnen?«
    »An dieses Glück glaube ich inzwischen nicht mehr. Wenn es so weitergeht, liege ich wahrscheinlich vor ihnen im Grab.«
    Ingram lächelte, dann verabschiedete er sich. Von Tod wollte er nichts hören. Er konnte noch immer die kalte Haut der Frau unter seiner Hand spüren... Ich brauche dringend eine Dusche, dachte er auf dem Weg zu seinem Wagen.
     
    Unbeirrt marschierte das blonde kleine Mädchen eine Straße im Lilliputviertel von Poole entlang. Es war Sonntag morgen, zehn Uhr dreißig, kaum ein Mensch unterwegs, und niemand machte sich die Mühe herauszufinden, warum die Kleine mutterseelenallein durch die Gegend spazierte. Als sich später ein paar Zeugen bei der Polizei meldeten und zugaben, sie gesehen zu haben, benutzten sie die unterschiedlichsten Ausreden. ›Sie machte den Eindruck, als wüßte sie genau, wohin sie wollte.‹ ›Ungefähr zwanzig Meter hinter ihr ging eine Frau, und ich dachte, es wäre die Mutter.‹ ›Ich nahm an, jemand anderer würde sich um das Kind kümmern.‹ ›Ich hatte es eilig.‹ ›Ich bin ein Mann. Ich wär doch gelyncht worden, wenn ich ein kleines Mädchen im Auto mitgenommen hätte.‹
    Erst ein älteres Ehepaar, Mr. und Mrs. Green, brachte schließlich genügend Zivilcourage auf, um einzugreifen. Die beiden waren auf der Heimfahrt von der Kirche und gönnten sich wie jede Woche einen nostalgischen Abstecher nach Lilliput, um sich die Art-déco-Häuser anzusehen. Lilliput breitete sich am Ostbogen der Bucht von Poole aus, und unter dem architektonischen Schrott, auf den man überall stieß, fand man hin und wieder noch elegante Villen mit streng angelegten Gärten und Häuser im Art-déco-Stil mit Fenstern wie Bullaugen. Die Greens liebten dieses Viertel. Es erinnerte sie an ihre Jugend.
    Sie passierten gerade die Abzweigung zur Salterns-Marina, als Mrs. Green das kleine Mädchen bemerkte. »Sieh dir das an«, sagte sie mißbilligend. »Was ist das nur für eine Mutter, die ihr kleines Kind so weit vorauslaufen läßt? Die Kleine braucht doch nur zu stolpern, und schon liegt sie unter einem Auto.«
    Mr. Green bremste ab. »Wo ist die Mutter überhaupt?« fragte er.
    Seine Frau drehte sich in ihrem Sitz herum. »Ja, tatsächlich, das frage ich mich auch. Ich dachte, es wäre die Frau hinter der Kleinen, aber die sieht sich ein Schaufenster an.«
    Mr. Green war pensionierter Soldat, ehemals Sergeant Major. »Da muß man was tun«, sagte er mit Entschiedenheit und legte den Rückwärtsgang ein. Er schüttelte drohend die Faust nach einem Autofahrer, der wütend hupte, nachdem er die hintere Stoßstange von Greens Wagen nur um Haaresbreite

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