Wellenbrecher
verfehlt hatte. »Diese verdammten Sonntagsfahrer«, sagte er. »Die sollte man gar nicht auf die Straße lassen.«
»Ja, da hast du wirklich recht, Schatz«, sagte Mrs. Green und öffnete schon die Wagentür.
Sie hob das arme kleine Ding auf den Arm und nahm es auf den Schoß, dann fuhr ihr achtzigjähriger Mann zur Polizeidienststelle in Poole. Es war eine umständliche Fahrt. Er fuhr nämlich am liebsten nicht schneller als dreißig und löste mit diesem Schneckentempo in dem Einbahnstraßensystem rund um den Kreisverkehr beim Verwaltungszentrum ein Verkehrschaos aus.
Das Kind sah zufrieden lächelnd aus dem Fenster und schien sich in dem fremden Auto wie zu Hause zu fühlen. Aber kaum betraten die drei die Polizeidienststelle, da klammerte es sich verzweifelt am Hals der alten Frau fest und versteckte sein Gesicht an ihrer Schulter. Als Mr. und Mrs. Green hörten, daß niemand ein Kleinkind als vermißt gemeldet hatte, nahmen sie mit lobenswerter Geduld Platz und machten sich auf langes Warten gefaßt.
»Ich verstehe nicht, wieso die Mutter nicht gemerkt hat, daß das Kind weg ist«, sagte Mrs. Green. »Ich habe meine Kinder keinen Moment aus den Augen gelassen, als sie klein waren.«
»Vielleicht arbeitet sie«, meinte die Polizeibeamtin, der die Ermittlungen übertragen worden waren.
»Tja, das sollte sie aber nicht«, sagte Mr. Green tadelnd. »Ein Kind in diesem Alter braucht seine Mutter.« Er drehte den Kopf nach Police Constable Griffiths und sah sie mit vielsagender Miene an. »Sie sollten die Kleine von einem Arzt untersuchen lassen. Sie verstehen, was ich meine? Heutzutage treiben sich ja die sonderbarsten Leute rum. Männer, denen man nicht trauen kann. Verstehen Sie?« Er artikulierte mit Nachdruck. »Pä-do-phile. Sexualverbrecher. Sie wissen, was ich meine?«
»Ja, Sir, ich weiß genau, was Sie meinen. Keine Sorge« - Constable Griffiths tippte mit ihrem Kugelschreiber auf den Zettel, der vor ihr lag -, »der Arzt steht ganz oben auf meiner Liste. Aber wenn’s Ihnen recht ist, wollen wir das lieber vorsichtig angehen. Wir haben mit solchen Geschichten häufig zu tun und haben festgestellt, daß es das beste ist, nichts zu überstürzen.« Mit einem ermutigenden Lächeln wandte sie sich der Frau zu. »Hat sie Ihnen ihren Namen gesagt?«
Mrs. Green schüttelte den Kopf. »Sie hat nicht ein einziges Wort gesprochen. Ehrlich gesagt, ich frage mich, ob sie überhaupt schon sprechen kann.«
»Wie alt schätzen Sie sie?«
»Achtzehn Monate, höchstens zwei Jahre.« Sie lupfte das Baumwollkleidchen des Kindes. »Sie trägt ja noch Windeln, die arme Kleine.«
Constable Griffiths hielt zwei Jahre für zu niedrig geschätzt und fügte in ihren Formularen ein Jahr hinzu. Frauen wie Mrs. Green hatten ihre Kinder noch mit Stoffwindeln gewickelt und sie wegen der ewigen Wascherei schon früh zur Sauberkeit erzogen. Daß ein dreijähriges Kind noch Windeln tragen könnte, war für sie undenkbar.
Aber im Fall dieses kleinen Mädchens spielte das ohnehin keine Rolle. Ob sie nun achtzehn Monate, zwei oder auch drei Jahre alt war - sie wollte oder konnte eindeutig nicht sprechen.
Die kleine Französin von der Beneteau, die voller Interesse Hardings Unterhaltung mit den Brüdern Spender, Maggie Jenner und Constable Ingram durch das Zoomobjektiv ihrer Videokamera beobachtet hatte, nutzte diesen langweiligen Sonntagnachmittag, um an den Strand zu rudern. Sie stieg den steilen Hang des West Hill hinauf, um auf eigene Faust zu erkunden, was hinter dem ganzen Geheimnis steckte. Es war nicht schwer zu erraten, daß die beiden Jungen die Frau gefunden hatten, die mit dem Hubschrauber abtransportiert worden war, und daß der umwerfende Engländer die Sache der Polizei gemeldet hatte. Aber sie hätte gern gewußt, warum er ungefähr eine halbe Stunde nach Abfahrt des Polizeifahrzeugs wieder am Hang aufgetaucht war, um seinen Rucksack zu holen. Sie hatte beobachtet, wie er einen Feldstecher herausgeholt und Bucht und Felsen durch das Glas betrachtet hatte, ehe er zum Strand jenseits der Bootshäuser hinuntergestiegen war. Sie hatte ihn mehrere Minuten lang gefilmt, während er aufs Meer hinausblickte, war aber danach noch immer nicht schlauer als zuvor gewesen und hatte es schließlich aufgegeben, das Rätsel lösen zu wollen.
Erst fünf Tage später sollte ihr Vater durch Zufall auf die Videokassette stoßen und sie vor der englischen Polizei in größte Verlegenheit bringen.
Am selben Abend um sechs lichtete
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