Wellentänze: Roman (German Edition)
wir so lange gebraucht haben.« Suzy hielt ihre schmutzigen Hände unter den Wasserhahn und verpasste nur um Haaresbreite die Kartoffeln, die Julia zum Abtropfen dorthin gestellt hatte. »Es war schwer, einen Platz zu finden, wo wir uns nebeneinander legen konnten. Nach dem Fluss kommt einem der Kanal so furchtbar schmal vor.«
Julia fand, dass Suzy müde und ein wenig niedergeschlagen wirkte. Der Brief von ihrem Vater hatte sie wahrscheinlich mehr mitgenommen, als sie zugeben wollte. Aber als sie in den Salon ging, stellte Julia fest, dass sie etwas von ihrem natürlichen Schwung wiedergefunden hatte. Der Salon sah hübsch und einladend aus, der Tisch war gedeckt, und alle Fahrgäste hielten einen Drink in der Hand. Eine der Frauen aus Neuseeland brütete über dem Kanalführer.
»All diese Schleusen! Auf dem Papier sehen sie aus wie kleine Beine, die den Kanal hinaufkrabbeln, nicht wahr?«
»Und wir müssen jede dieser Schleusen zweimal durchfahren«, meinte ihre Freundin. »Vielleicht versuche ich morgen mal, mit anzufassen. Heute Abend wollte ich erst mal sehen, wie so ein Ding funktioniert.«
»Sie sind alle die reinsten Energiebündel«, jammerte Delphine. »Ich mache Urlaub, um mich auszuruhen.«
»Wichtig ist nur eins«, erklärte Suzy, während sie sich einen großen Wodka einschenkte, »nämlich dass Sie sich gut amüsieren. Wie Sie das machen, ist allein Ihre Sache.«
»Oh, gut«, bemerkte Johns Frau, die ihre Stickerei bisher in ihrem Gepäck versteckt gehalten hatte. »John langweilt sich nämlich im Urlaub, wenn er nicht irgendetwas tun darf, wobei er schmutzig wird.«
»Oh?«, murmelte Delphine. »Warum denn das?«
»Am liebsten schaufelt er Kohle. Aber Hauptsache ist, dass er seinen Overall tragen kann, dann schwimmt er in Seligkeit. Was mich betrifft«, fügte sie gleichmütig hinzu, »ich mache Bargello.«
Suzy sah sie aus den Augenwinkeln an. »Na, ich hoffe, das ermutigt unsere neuseeländische Freundin nicht, sich ebenfalls ihr Strickzeug vorzunehmen, statt uns an den Schleusen zu helfen«, flüsterte sie Julia zu. »Das Letzte, was wir hier brauchen, ist ein Nähkränzchen.«
Erst als Julia und Suzy die letzten Fahrgäste ins Bett verfrachtet hatten, erinnerte Julia sich wieder an ihre Briefe, die sie ungelesen in ihre Jeanstasche gestopft hatte. Sie riss zuerst den Umschlag von Oscar auf, obwohl sie am liebsten ebenfalls gleich zu Bett gegangen wäre.
»O nein!« Sie legte sich hin und verdrehte die Augen. »Ich fasse es nicht!«
»Was?«, fragte Suzy.
»Es geht um Oscar. Er hat eine Tour bei uns gebucht.«
»Ogottogott. Wie schrecklich für dich.«
»Das ist noch nicht das Schlimmste.« Julia war zum Heulen zumute. »Er bringt seine Mutter mit!«
Während Suzy sich das Gesicht eincremte, sah sie zu, wie Julia einen mittleren hysterischen Anfall niederkämpfte. »Mach erst mal deinen anderen Brief auf. Vielleicht steht da ja was Aufmunterndes drin.«
Julia brauchte jedoch eine Weile, um den Inhalt des zweiten Briefes zu verstehen. Er kam von einem Rechtsanwalt. Wie es aussah, verklagte Strange’s sie wegen Diebstahls. Dem Brief zufolge warf man ihr vor, wertvolle Papiere mitgenommen zu haben, als sie die Firma verlassen hatte, Papiere, die sie angeblich benutzt hatte, um eine Konkurrenzfirma zu gründen. In der Stadt hatte inzwischen eine auf Vermietung spezialisierte Immobilienagentur aufgemacht, und es war alles Julias Schuld. Angeblich.
»Keine guten Neuigkeiten?«, hakte Suzy nach, als Julia minutenlang schwieg.
»Verwirrende Neuigkeiten. Man bezichtigt mich, in meiner früheren Firma einige Unterlagen gestohlen und sie einem Konkurrenten gegeben zu haben. Ich weiß überhaupt nicht, wovon da die Rede ist. Ich schwöre, ich habe nichts mitgenommen, außer den Fotos von den Kindern meiner Schwester und meinem Gummibaum.«
»Warum behaupten die Leute dann, du hättest etwas gestohlen?«
»Wahrscheinlich, weil Darren die Unterlagen verloren hat und mir die Sache in die Schuhe schiebt. Außerdem leiden meine geschätzten ehemaligen Kollegen unter Verfolgungswahn, was Konkurrenzfirmen betrifft. Wie habe ich es bloß fertig gebracht, es da so lange auszuhalten?«
Es war eine rhetorische Frage, aber Suzy wollte eine Antwort darauf haben. »Und? Wie hast du es ausgehalten?«
»Nun, im Grunde konnte ich die meisten der anderen Frauen, die dort arbeiteten, gut leiden, und als ich anfing, die Abteilung für Mietvermittlungen aufzubauen, hat Peter Strange mir ziemlich freie Hand
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