Wellentraum
Rock und zog die Unterhose aus.
»Viel besser«, verkündete sie.
Lucy machte große Augen. »Ja, aber …«
»Was?«
»Fühlst du dich nicht ein bisschen … äh …«
»Befreit?«
»Nackt.«
Margred warf erneut einen Blick in den Spiegel. Sie sah das Problem nicht. All jene Körperteile, die die Menschen sonst auch bedeckten, waren bedeckt. »Nein.«
»Na ja …« Ein Grinsen verzog Lucys Gesicht. »Caleb wird seine Zunge verschlucken, wenn er dich so sieht.«
Margred warf den Kopf zurück, um gleich darauf zusammenzuzucken. »Wenn er jemals kommt.«
Sie war es nicht gewohnt zu warten, weder auf Caleb noch auf einen anderen Mann. Sie war es nicht gewohnt, in Bezug auf Kleidung, Essen und Begleitung auf andere angewiesen zu sein.
In Bezug aufs Überleben.
»Du könntest jetzt sowieso nicht an den Strand«, stellte Lucy in solch einem vernünftigen Ton fest, dass sich Margred die Nackenhärchen sträubten. »Nicht bei diesem Regen.«
»Der Regen ist mir egal.«
Wasser war ihr Element. Sie konnte die Strömung umlenken und die Wellen beherrschen. Sie konnte die Meeresoberfläche erwärmen und Nebel schaffen oder die Luft abkühlen, so dass Regen fiel. Sie konnte … Die Möglichkeit erblühte bebend in ihr wie eine rosa Koralle.
Sie konnte den Regen aufhören lassen.
Oder vielleicht auch nicht.
Was hatte sie mit ihrem Fell sonst noch verloren?
Ihr Kopf hämmerte.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Lucy.
»Ich … Ja«, antwortete Maggie langsam.
Vielleicht.
Versuchsweise suchte sie den Funken tief in sich, sank hinab durch Bewusstseinsebenen, wie eine Muschel zum Meeresboden hinabtaumelt, durch Gold über Blau und Grün hin zu Grau. Ihr Atem ging langsamer. Druck baute sich in ihrer Brust auf. Vielleicht hier …
Oder dort … ein verborgener Schimmer, der viel zu schnell vergangen war, als dass sie ihn hätte identifizieren können.
Sie öffnete die Augen – um zu sehen, wie Lucy sie aus besorgten graugrünen Augen anstarrte.
Calebs Augen,
dachte Margred. Ihr Atem ging stoßweise. »Ich muss nach draußen.«
»Das würde ich nicht«, gab Lucy zurück. »Es regnet. Und dein Kopf …«
»Meinem Kopf geht es gut«, sagte Margred mit Nachdruck.
Ihr Puls klopfte hinter ihren Augäpfeln. Sie blendete den Schmerz aus. Ihr Kopf würde wahrscheinlich noch um einiges mehr weh tun, bis sie fertig war.
Eine Hand am Geländer, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, ging sie die schmale Treppe nach unten.
Lucy folgte ihr. »Mein Bruder hat gesagt, dass ich auf dich aufpassen soll.«
»Dein Bruder ist nicht hier.«
Das war das Problem. Ein Teil des Problems.
Den sie zu lösen beabsichtigte.
Margred war noch nie gut im Wetterzaubern gewesen, und nicht einen Deut leichter tat sie sich mit der übrigen Magie. Aber wozu sich Gedanken machen? Wie sie Lucy schon gesagt hatte: Das bisschen Regen machte ihr nichts aus. Und sich in den Wasserzyklus einzumischen war in der Regel sowieso keine gute Idee.
Wenn sie allerdings … Ihr Herz schlug schneller.
Sie musste es versuchen. Nicht nur, weil Caleb sich weigerte, sie zum Strand zu bringen, sondern weil sie ihre eigenen Grenzen kennenlernen musste.
Unten kam ihr das Haus noch dunkler und beengter vor. Anders als die schachtelartigen Touristenhäuser am Strand mit ihren großen Fenstern für einen guten Blick aufs Meer war dieses Cottage so erbaut und plaziert worden, dass es dem Schlimmsten standhalten konnte, was Winter und Meer zu bieten hatten. Die Dunkelheit störte Margred nicht. Selbst in Menschengestalt gewöhnten sich ihre Augen schnell an das Dämmerlicht. Aber sie spürte, wie das obere Stockwerk schwer auf sie drückte und die umstehenden Bäume näher rückten.
Calebs Mutter hatte hier leben können?
Dreizehn Jahre lang.
Margred erschauerte und ging zur Haustür.
»Wo willst du hin?«, wollte Lucy wissen.
»Ich brauche Luft«, entgegnete Margred und riss die Tür weit auf.
Der Wind pfiff herein, nass vom Regen und dem Geruch von Erde und Kiefern und – flüchtig und entfernt – der See. Margred atmete tief durch.
»Der Flur wird ganz nass«, sagte Lucy.
Margred hörte nicht auf sie.
Während sie die Seeluft tief in ihren Lungen behielt, begann sie erneut mit dem Zauber, und ihr suchender Gedanke schraubte sich immer weiter hinab in ihr Innerstes wie eine goldene Spirale. Der Regen bestäubte ihr Gesicht und benetzte ihre nackten Arme. Sie streckte sie den Wolken entgegen, als würde sie über die dicken, nassen Tropfen
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