Wellentraum
abgehalten. O nein. Bei der erstbesten Gelegenheit ist sie auf und davon.«
»Wohin?«
Sein Vater sackte gegen die Tür. »Ich muss kotzen.«
»Nicht in den Jeep.«
Caleb gelang es, rechts ranzufahren und die Beifahrertür zu öffnen, bevor sich Bart in einem heftigen, stinkenden Sturzbach erbrach.
Caleb gab ihm ein Taschentuch und half ihm zurück in den Jeep.
Sein Vater konnte ihn heutzutage nicht mehr durch Boshaftigkeiten zum Schweigen bringen. Aber sich im Straßengraben zu übergeben und dann auf dem Rücksitz einzuschlafen erfüllte im Grunde genommen denselben Zweck.
Caleb stützte den alten Mann, als er den Jeep verließ und die Verandatreppe hinaufstieg. Wenigstens standen die Chancen gut, dass Lucy heute Nacht nicht hinter ihm herwischen musste, nun, da er das Gift bereits von sich gegeben hatte.
Er lehnte seinen Vater unter der gelben Verandalampe an die Hauswand und tastete ihn nach den Schlüsseln ab.
Die Tür wurde geöffnet. Lucy stand in dem erleuchteten Viereck, barfuß und das Haar zu einem Zopf geflochten. Sie sah aus wie eine Zwölfjährige.
»Geht’s ihm gut?«
»Er ist betrunken«, antwortete Caleb barsch. »Geh wieder ins Bett.«
Ihr schiefes Lächeln erreichte ihre Augen nicht ganz. »Eilmeldung, großer Bruder. Ich gehe mittlerweile schon nach neun Uhr schlafen. Und ich habe genauso viel Erfahrung damit, wie man ihn ins Bett bringt, wie du.«
Schuldbewusstsein versetzte ihm einen Stich. »Dann nimm dir heute Nacht frei.«
Lucy trat beiseite, als Caleb Bart über die Schwelle führte. Lachen und Applaus drangen vom Fernseher im Wohnzimmer herüber, und plötzlich stand Maggie da und ließ die Szene mit großen, schokoladendunklen Augen auf sich wirken.
Calebs Herz pumpte heftig und presste ihm die Luft aus den Lungen.
Bart erbebte. »Wer ist das? Wer sind Sie?«
»Das ist Maggie, Pop.« Caleb schubste ihn Richtung Treppe. »Sie bleibt ein paar Tage hier.«
Bart torkelte vorwärts und packte sie am Arm, fest genug, um ihr weh zu tun.
Maggie zuckte zusammen und versuchte, seine Finger von ihrem Arm zu lösen.
»Ganz ruhig.« Caleb bekam die Jacke seines Vaters zu fassen. »Lass sie los.«
Bart nahm es kaum wahr und streckte den Kopf vor, um Maggie direkt ins Gesicht zu starren. »Bist du wieder da? Bist du zurückgekommen?«
Maggie gab einen leisen Laut des Protests von sich.
Caleb schüttelte seinen Vater am Kragen. »Lass sie los«, wiederholte er mit zusammengebissenen Zähnen.
Bart ließ ihren Arm fallen und fuhr zu seinem Sohn herum.
Er hatte keine Zeit auszuweichen. Der Faustschlag prallte unbeholfen an seinem Kieferknochen ab. Trotzdem war er wie betäubt. Es war Jahre her, dass ihn sein Vater geschlagen hatte.
Er hatte immer zurückschlagen wollen.
Aber das hatte er nie getan. Auch nicht, als er groß genug war. Stark genug.
Er fing die Faust seines Vaters beim nächsten Schwung ab und drehte ihm den Arm auf den Rücken. »Das reicht jetzt«, knurrte er.
Bart machte ein Geräusch, ein schreckliches Geräusch wie von einem nassen Seil, das durch rostige Angeln rasselt, und sackte zusammen. Caleb brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass sein Vater weinte. Er stützte seinen großen, betrunkenen Körper, während Wut und Mitleid in seinen Eingeweiden wühlten.
»Es tut mir leid.« Maggies schönes Gesicht war ernst, ihr Tonfall freundlich. »Sie kommt nicht mehr zurück.«
Caleb runzelte die Stirn. »Kennt ihr euch?«
»Ihre Augen …« Schweißtropfen perlten über Barts blasses Gesicht. Sein Atem roch ranzig.
»Was ist mit ihnen?«
»Sie hat die Augen eurer Mutter.«
Verblüfft fing Caleb den Blick seiner Schwester auf, der so graugrünäugig wie sein eigener war. »Lucy?«
»Die andere«, stammelte Bart. »Wie sie mich anschaut. Mit den Augen eurer Mutter …«
»Ihm ist nicht gut«, sagte Lucy. »Ich bringe ihn hinauf.«
»Ich habe ihn schon«, entgegnete Caleb grimmig.
Ob er ihn wollte oder nicht.
Margred sah zu, wie Caleb seinem Vater die Treppe hinaufhalf. Trotz der Ungeduld in seiner Stimme, trotz der Enttäuschung in seinen Augen war so viel Kraft in ihm.
So viel Zärtlichkeit.
»Er sollte sich um sein Bein kümmern«, murmelte sie.
»Caleb ist besser darin, sich um andere Leute als sich selbst zu kümmern«, erwiderte Lucy. »Er hat mich großgezogen, weißt du.«
Margred legte den Kopf schräg. »Bis er in den Krieg musste.«
»Eigentlich ist er schon weggegangen, zum Studieren, als ich neun war. Vorher hatte er mit unserem
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