Weller
der seine Äste an der Südseite des Anwesens erhob. Jara liebte es, Bäume zu pflanzen und nur mit Mühe hatte ich Ellen davon abbringen können, einen bereits fast drei Meter hohen Ahorn, den Jara aus Platzgründen abgeben wollte, in unseren Garten zu pflanzen. Weder wollte ich durch ihn unser eigenes Haus verschatten lassen, noch wären die Nachbarn über einen schnell wachsenden, dicht belaubten Baum begeistert gewesen. Zwar war unsere ehemalige Scheune mit ihren 150 Quadratmetern Grundfläche recht großzügig dimensioniert. Das sie umgebende Grundstück erinnerte jedoch, da das historische Gemäuer im Laufe der Zeit nach und nach von neu gebauten Einfamilienhäusern umzingelt worden war, eher an ein Handtuch. Na gut, an ein Badelaken. Zudem war unsere Terrasse bereits eingerahmt von Rosenbüschen, Lavendelstauden und einer kleinen Rasenfläche, auf der ein Gingkobaum im Babyalter wuchs. Mehr ging hier wirklich nicht, davon hatte sich Ellen, nach kurzem von der Ahornidee Hingerissensein, glücklicherweise überzeugen lassen.
Nun kamen die beiden Frauen zurück an unseren Tisch und Jara schenkte noch einmal Kaffee ein.
»Hast du Barbara neulich erreicht?«
Ich erstarrte innerlich, als hätte sie mich bei ehelicher Untreue ertappt. Weder wollte ich mich an diesem schönen Tag mit dieser abseitigen amerikanischen Fotografin beschäftigen, die Jara sich ausdauernd weigerte, bei ihrem Künstlernamen zu nennen, noch wollte ich Ellen erklären müssen, was es mit dieser Feuerzeuggeschichte auf sich hatte. Dennoch tat ich beides, nachdem mich drei Augenpaare interessiert anblickten und mich auch das wiederholte Schlagen nach einer vorwitzigen Wespe nicht länger davor bewahrte, antworten zu müssen. Ich kannte mich selbst nicht mehr, log, erfand Geschichten, Ausreden, verstrickte mich in ein Gespinst von Unwahrheiten. Weshalb nur? Noch während ich Jaras Frage unwahrheitsgemäß verneinte und den beiden anderen zur Erklärung die Feuerzeuglegende präsentierte, kam mir eine Idee.
»Sagt mal, war Barbara …« – es tat gut, von ihr nicht als Connor zu sprechen, merkte ich – »… war sie eigentlich am 30. April abends hier im Schloss?« Natürlich hatte ich mir das Datum des Hausmann-Mordes gemerkt. So blitzschnell, dass ich mich selbst darüber wunderte, war mir eine neue Lügengeschichte eingefallen. »Einer meiner Klienten hat nämlich behauptet, an diesem Abend – seinem Geburtstag – mit einer großen Frau aus den USA in der Fellfresse in Wismar so etwas wie Komasaufen betrieben zu haben. Er hat die Amerikanerin dort kennen gelernt und sie erwies sich als äußerst trinkfest. Irgendwann später ist er unter einem der Kneipentische wieder zu sich gekommen und sowohl seine Brieftasche als auch seine Zechkumpanin fehlten. Irgendwie musste ich, als er es mir vor ein paar Tagen erzählte, an die gute Barbara denken. So häufig tummeln sich USA-Amerikanerinnen ja nicht im beschaulichen Wismar.« Jara, Christian und Ellen sahen mich alle irgendwie ratlos an. Hatte ich mit meiner Geschichte übertrieben? War sie zu unglaubhaft? Doch dann antwortete Christian. »Wir haben die Stipendiatszeit, da der 1. Mai ein Feiertag ist, regulär am 30. April beginnen lassen. Das war ein Montag; das Stipendium an einem Wochenanfang zu beginnen, fanden wir praktisch. Das heißt, dass die diesjährigen Stipendiaten am 30. April angereist sind. Auch Barbara. Was sie aber am Abend gemacht hat, weiß ich nicht.«
»Wir machen am ersten Tag ein gemeinsames Kaffeetrinken am Nachmittag, wenn alle angekommen sind. Danach lassen wir die jungen Leute allein, sie sollen Zeit haben, sich gegenseitig und auch das Haus kennen zu lernen«, ergänzte Jara. Diskret, wie sie allen Menschen gegenüber war, fügte sie hinzu: »Barbara war ja eine ziemliche Einzelgängerin. Dass sie am ersten Abend gleich nach Wismar gefahren ist, kann ich mir schon vorstellen. Aber wenn du es genau wissen willst, solltest du mal unseren Hausmeister Marcel fragen. Der hat nämlich nicht nur in solchen Dingen ein beinahe fotografisches Gedächtnis.«
Marcel Matzke! Meine verkorkste Begegnung mit ihm fiel mir ein und ich fühlte, wie meine Ohren heiß wurden.
»Wenn du willst, können wir gleich bei ihm vorbeigehen. Ich wollte ihm sowieso noch etwas von Omas Kuchen bringen.« Jaras Schwiegermutter, von allen nur Oma genannt, war legendär für die Mengen leckeren Kuchens, mit denen sie halb Plüschow versorgte. Unter Ellens fragendem Blick stimmte ich zu.
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