Weller
beruflichen Praxis wieder begegnen würde. Das wäre mir jedoch deutlich lieber gewesen, als dass wieder jemand im Dunkeln um unser Haus schlich.
Konnte ich selbst zu diesem Zeitpunkt noch etwas tun? Im Geist ging ich meine bisherigen Fehltritte durch: Ich hatte meinen Klienten unnötigerweise hinter Gittern geschickt, mich in besagtem Drogeriemarkt sowie der Kripo gegenüber extrem lächerlich gemacht, dann war da noch die stümperhafte Überwachung der Truckertreffpunkte mit einem, einzig dem Zufall geschuldeten Ergebnis, das möglicherweise noch nicht einmal einen wirklichen Durchbruch in den Mordermittlungen und im Falle des Überfalls bringen würde. Doch halt: Immerhin schien mit Quandt der Spannerfotograf gefasst worden zu sein! Hatte ich etwa im Laufe der vergangenen Wochen völlig Anlass und Ziel meiner detektivischen Anstrengungen aus dem Blick verloren? Es war mir doch vordringlich darum gegangen, herauszufinden, wer Ellen und die anderen Frauen heimlich ausgespäht und fotografiert hatte. In diesem Fall fehlte nur noch das Geständnis des ach so sensiblen Lukas Quandt. Die gute Frau Sänger war eben doch nur eine Hobbypsychologin. Alles sprach für den tragischen Trucker als Täter und vielleicht war er darüber hinaus tatsächlich auch der Mörder. Ich versuchte, mir über meine Gemütslage klar zu werden. Was verursachte diese innere Getriebenheit, der ich nun schon so lange unterlag, woraus resultierte dieser Zwang, nach dem Säuremörder zu suchen, wenn der Fotospanner wirklich gefasst war? Hatte ich zu viele Fernseh- Tatorte gesehen? Litt ich unter maßloser Selbstüberschätzung? Wollte ich, indem ich den Täter überführte, eine Form von Abbitte leisten für das unentschuldbare Fallenlassen Zorns? Oder war ich schlicht und ergreifend größenwahnsinnig geworden? Ich blickte nicht mehr durch.
Bevor ich mich auf mein Fahrrad schwang, bestellte ich einen 103er als Absacker und rief Ellen an.
»Weller.« Ihre rauchgraue Stimme ertönte nach dem dritten Läuten.
Mir blieben für ein paar Momente die Worte weg, während mich das Staunen und die Ehrfurcht gegenüber der Tatsache im Bann hielten, mit dieser fantastischen Frau zusammen zu sein.
»Alles klar bei dir?« Meine Stimme war seltsam rau.
»Ach du bist es, Weller.« Sie klang erleichtert. »Ja, hier ist alles okay. Quax und ich sehen uns einen Fernsehkrimi an und fressen vor Überdruss Kartoffelchips. Wann kommst du nach Hause?«
»Bin gleich bei dir.« Mir wollte das Herz überlaufen. »Es gibt übrigens gute Neuigkeiten von Dietmar. Wir können wohl bald die blöden Kameras abmontieren.«
Heute frage ich mich, ob ich damals einfach naiv war, meine Überlegungen zu stark von meinen Wünschen leiten ließ und ob ich nicht hätte ahnen können, dass diese Geschichte für Ellen und mich noch lange nicht ausgestanden sein würde. In meinem Glück über meine inzwischen so ungewohnt leichte Gemütsverfassung bemerkte ich gar nicht den Mopedfahrer, der auf meinem Heimweg nach Fischkaten, stets den gleichen Abstand haltend, hinter mir herknatterte.
***
Am Sonntag waren wir bei Jara und Christian zum nachmittäglichen Kaffeetrinken eingeladen. Das Spätsommerwetter gab an diesem Nachmittag noch einmal alles, sodass wir im Garten des alten Remisengebäudes saßen, das sich die beiden als Wohnhaus ausgebaut hatten, und die erstaunlich kräftigen Sonnenstrahlen genossen. Es gab starken Kaffee in dickwandigen braunen Tassen und Streuselkuchen von Christians Mutter, die im Nebenhaus wohnte. Die letzten Wespen des Jahres unternahmen verzweifelte Sturzflüge auf unsere Teller, während Christian und ich uns über seinen letzten Islandurlaub mit Jara unterhielten. Er berichtete über die im Vergleich zum Flug exorbitant teure, doch weitaus abenteuerlichere Anreise mit dem Schiff und wir beklagten gemeinsam den ökologischen Wahnsinn der allgemeinen Tiefstpreise für Flugtickets. Kurz musste ich wieder an meine Fantasie einer männerfressenden Connor denken, die mich über die Kontinente hinweg verfolgte. Welch absurde Vorstellung!
Die beiden Frauen wanderten derweil durch den Garten und Jara zeigte Ellen ihre Blumenbeete, grub die eine oder andere Pflanze aus, um sie Ellen für unseren, deutlich kleineren Garten mitzugeben. Pflanzentausch, das hatte ich, als alter Städter, erst hier in der Mecklenburger Provinz gelernt, war ein beliebtes Ritual und soziales Schmiermittel unter Hobbygärtnern. Die beiden Frauen bewunderten den Wuchs eines Ahorns,
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