Wells, ich will dich nicht töten
Behinderung.« Sie streichelte mir den Kopf, ich konnte mich kaum noch konzentrieren. »Wahrscheinlich ist es nur irgendeine Auffälligkeit wie ein Akzent. Er wollte nicht, dass Ashley seine Stimme hört, weil er sie am Leben lassen wollte. Der Handlanger hat einen Akzent, jede Wette.«
»Jetzt bist du in deinem Element, was?« Marci lehnte sich an mich. Die roten und blauen Lichter der Streifenwagen spielten auf ihrer Haut und blitzten in ihren Augen. »Du siehst, dass etwas nicht stimmt, und musst es in Ordnung bringen, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen.«
»Aber es ist wichtig«, wiederholte ich. »Sie oder er – oder wer es auch ist – wird weiter töten, immer weiter, bis wir es unterbinden.« Ich blickte zu den Sternen hinauf. »Jetzt habe ich zwei volle Monate darauf verschwendet, ein Profil zu erstellen, das überhaupt nichts hergibt, und wir sind keinen Schritt weiter als am Anfang.«
»Du musst nicht alles auf einmal auflösen«, murmelte Marci. »Du bemühst dich ja, alles in Ordnung zu bringen, und das mag ich so an dir, aber du darfst dich nicht davon auffressen lassen. Der Handlanger hat Spuren hinterlassen, und nun kann die Polizei ihn oder sie aufspüren. Du musst das nicht allein erledigen.« Sie lächelte. »Du musst nicht jedes Mal, wenn sich die Tore auftun, mitten hinein in die Hölle marschieren.«
Ich betrachtete das vertraute Gesicht, jede Linie und jede Kontur, atmete ein und stieß die Luft aus wie ein Gift. Beruhige dich, ermahnte ich mich. Auf der Straße fuhren langsam Autos vorbei, die Insassen versuchten einen Blick auf das Chaos zu erhaschen. »Ich habe gerade die schreckliche Vision, dass du dich gut mit meiner Mutter verstehen könntest.«
»Dann sei froh, dass du von so klugen Frauen umgeben bist«, antwortete sie. »Wie ich sehe, haben wir alle Hände voll zu tun.«
Sie hatte wir gesagt. Sie hatte gesehen, dass ich etwas Dummes getan hatte, sie hatte meine Besessenheit erkannt, sie hatte gesehen, wie ich mein Leben aufs Spiel gesetzt hatte … und trotzdem sagte sie wir .
»Du lässt mich nicht sitzen«, sagte ich.
Sie lächelte schalkhaft. »Machst du Witze? Mein Freund hat gerade die ganze Schule gerettet. Er ist ein Held. Ein dummer, selbstmörderischer Idiot von einem Helden, aber was soll’s – er ist mein.«
»Ich bin dein, ja?«
Wir beobachteten das Durcheinander ringsum, von dem uns eine dunkle Grasfläche trennte. Vor dem Eingang standen Polizisten und befragten Zeugen, eine lange Schlange von Schülern bewegte sich zum Parkplatz, an dessen Ausfahrt zur Straße sich bereits ein Rückstau gebildet hatte. Ich legte den Kopf in den Nacken und blickte zu den Sternen hinauf.
»Allmählich wird es kühl hier draußen«, stellte Marci fest.
Ich lächelte, ohne den Blick vom Himmel abzuwenden. »Jetzt bereust du das aufreizende Kleid.«
Sie knuffte mich lachend. »Ich beschwere mich doch nicht, du Trottel. Das war eine Einladung, mich in den Arm zu nehmen. O Mann, dir muss man es aber mit dem Holzhammer beibringen!«
Ich nahm sie in den Arm, und sie legte mir den Kopf an die Schulter. Warm und weich, vollkommen.
»So«, sagte sie, »wie war denn nun dein erster Ball?«
»Eigentlich gar nicht so übel.«
»Wahrscheinlich war es auch deine erste Bombendrohung, was?«
Ich lächelte. »Genau.«
»Wie wäre es jetzt mit dem ersten Kuss?«
Ich war sprachlos, im Kopf hatte ich nur noch ein summendes großes Loch. »Bisher war da noch nichts, aber mir scheint, als sei dies ein Abend, an dem vieles zum ersten Mal passiert.«
Sie hob den Kopf, bis unsere Lippen auf gleicher Höhe waren. »Wenn es das erste Mal ist, dann sollte ich dafür sorgen, dass du es nie wieder vergisst.«
Das tat sie dann auch.
FÜNFZEHN
Am nächsten Morgen schlief ich lange und träumte von Marci. Um zehn Uhr kroch ich endlich aus dem Bett. Mom war nicht da, ich schaltete den Fernseher ein, aber es lief nichts Vernünftiges, also schaltete ich ihn wieder aus. Ich machte mir eine Schale Müsli und wollte mich gerade zum Essen hinsetzen, als es klingelte. Zuerst reagierte ich nicht darauf, doch es klingelte nochmals, und dann ein drittes Mal. Ich stand auf, schlurfte zur Tür und nach unten, um die Seitentür zu öffnen. Brooke war schon in der Zufahrt und entfernte sich gerade wieder.
»He!«, rief ich. Auf einmal wurden mir der verknitterte Schlafanzug und das zerzauste Haar peinlich bewusst.
Sie wandte sich um. »Hallo.« Sie war einfach gekleidet, Jeans und ein
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