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Wells, ich will dich nicht töten

Wells, ich will dich nicht töten

Titel: Wells, ich will dich nicht töten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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meinem Leben ein Ende. Und jetzt ist sie tot. Wie kommt ein Mensch dazu, so etwas zu tun?«
    Brooke schüttelte den Kopf, ihre Augen waren feucht. »Ich weiß es nicht.«
    »Mom dachte schon daran, von hier wegzuziehen«, sagte ich. »Das tun wir natürlich nicht, weil beängstigende, gefährliche Zeiten für uns die einzige Möglichkeit zum Geldverdienen sind. Wir müssen die Toten herrichten, und als Nächste ist Rachel dran. Aber manchmal will ich auch von hier weg. Einfach auf den Highway und fahren, fahren, bis ich mich nicht mehr an diesen Ort erinnere. Bis ich irgendwo bin, wo es schön ist.« Ich lachte freudlos. »Wahrscheinlich ist es woanders genauso mies wie hier.«
    Brooke legte den Löffel weg, verschränkte die Arme auf dem Tisch und starrte die Wand hinter mir an. »Ins Wasser und ins wilde Land.«
    »Was?«
    Sie nickte zur Wand hinüber. Hinter mir hing eins von Moms Bildern – der Freak Lake inmitten des Waldes. Es hing schon so lange dort, dass ich es ganz vergessen hatte.
    »Das ist ein Gedicht«, erklärte Brooke, »O Menschenkind, komm nun mit mir ins Wasser und ins wilde Land. Geh mit einer Elfe Hand in Hand, denn tränenvoll und wirr ist diese Erde hier.«
    Sie starrte mit feuchten Augen ins Leere.
    Ich spielte mit dem Müsli herum, tippte mit dem Löffel an die Schale, legte ihn weg. »Ich dachte, ich könnte das Böse aufhalten.«
    Brooke lachte.
    »Ich dachte, ich könnte einen Zauberstab schwenken«, fuhr ich fort, »oder ein Messer oder was auch immer und dafür sorgen, dass die Morde aufhören und die Traurigkeit und dass niemand stirbt. Niemand mehr zu Tode kommt. Aber so läuft das nicht. Immer wieder verlassen uns Menschen, und es spielt keine Rolle, ob sie erschossen, erstochen oder von einem Laster überfahren werden, ob der Krebs oder das hohe Alter sie tötet. Es wird niemals aufhören.«
    »Jeder muss sterben«, erwiderte Brooke. »Aber manche sterben vor der Zeit.«
    »Woher weißt du, wann die Zeit gekommen ist?«
    Sie zuckte mit den Achseln. »Das weißt du nicht. Du hilfst den anderen eben, so gut es geht, und selbst wenn du ihnen nur einen weiteren Tag schenkst, ist das ein Tag, den sie ohne dich nicht gehabt hätten.«
    »Und du glaubst, ein einziger zusätzlicher Tag kann alles ändern?«
    »Keine Ahnung. An einem Tag lässt sich eine Menge tun, vor allem aber verändert es denjenigen, der sich für etwas einsetzt. Verstehst du? Wenn du jemandem hilfst, und sei es nur an einem einzigen Tag, dann tust du etwas zum Wohl der Menschheit.« Sie blickte wieder auf. »Ich glaube, die Welt braucht mehr Leute, die so sind.«
    Die Außentür knallte laut, auf der Treppe polterten Schritte, und dann flog die Wohnungstür mit einem Knall auf. Beide Arme voller Lebensmitteltüten, kam Mom herein.
    »John, kannst du mir helfen … oh, Brooke …« Sie hielt mit offenem Mund inne. »Ich … ich wusste nicht, dass du hier bist. Was ist denn los?«
    Brooke wischte sich mit den Ärmeln die Augen trocken. »Hallo, Mrs Cleaver, wir haben uns nur unterhalten. Soll ich Ihnen beim Einräumen helfen?«
    Mom schob sich an uns vorbei zur Anrichte und blickte noch einmal überrascht zwischen uns hin und her. »Nein, danke, ich komme schon klar.« Sie stellte die Einkaufstüten ab. »Ist etwas nicht in Ordnung?« Sie kam wieder näher. »Ihr habt ja beide geweint.«
    »Rachel Farnsworth hat sich umgebracht«, sagte ich.
    Moms Augen weiteten sich. »Nein.«
    »Gestern Abend«, fuhr ich fort. »Wahrscheinlich nach dem Ball. Brooke ist gerade rübergekommen, um es mir zu sagen.«
    »Es tut mir leid«, sagte Brooke.
    »Seid ihr nicht mit Rachel zusammen zum Ball gefahren?« Mom setzte sich zu uns und streckte die Hände aus, als wolle sie die meinen umfassen, tat es dann aber doch nicht. »Ging es ihr denn nicht gut?«
    »Sie war den ganzen Abend deprimiert«, berichtete ich. »Nach dem Auftauchen der Polizei habe ich sie nicht mehr gesehen. Brad hat sie nach Hause gebracht, Marci und ich sind mit Marcis Dad gefahren.«
    »Hast du schon mit Marci gesprochen?«
    Ich warf einen Blick zu Brooke hinüber, die eine Grimasse schnitt und scharf einatmete. Das Gesicht kannte ich. Sie hatte Schuldgefühle.
    Ich schüttelte den Kopf. »Noch nicht.«
    »Dann geh ich jetzt mal.« Brooke stand auf. »Ich wollte dich gar nicht so lange aufhalten … Wenn ich weg bin, kannst du sie ja anrufen.«
    »Mach’s gut, Brooke«, sagte Mom. »Und danke, dass du vorbeigekommen bist.«
    »Ja klar.« Brooke blickte mich an.

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