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Wells, ich will dich nicht töten

Wells, ich will dich nicht töten

Titel: Wells, ich will dich nicht töten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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da draußen war Niemand und beobachtete uns aus sicherer Entfernung. Entmutigt spreizte ich die Finger und legte sie um eingebildete Waffen. Ich hatte nichts in der Hand, ich konnte sie nicht stellen. Ich wusste nicht einmal, ob ich die Tür erreichen würde, und das Fenster hinter mir war zu hoch, als dass ich hinausklettern konnte. Kurz dachte ich daran, sie anzurufen und zu bitten, den Angriff abzublasen, doch ich hatte Formans Telefon zu Hause versteckt. Ich war machtlos.
    Die Leute drängten sich weiter in unsere Ecke, quetschten kreischende Schüler an die Wand und hätten uns fast vom Heizkörper gerissen. Irgendjemand wollte heraufklettern und hielt sich an Marci fest. Ich stieß ihn zurück.
    »Ich kann hier nicht einfach herumstehen«, sagte ich mit einem Blick auf Ashley. Sie hielt etwas in den Händen, die Fingerknöchel waren weiß angelaufen. »Ich muss etwas tun.«
    »Bist du verrückt?«, fragte Marci.
    »Klinisch gesehen durchaus.« Aber was konnte ich überhaupt tun? Auf der anderen Seite bemerkte ich Brooke, die mit weit aufgerissenen Augen alles voller Angst beobachtete, und traf eine Entscheidung. »Hast du dein Handy dabei?«
    »Was hast du vor?«
    »Ich will das Schlimmste verhindern. Hast du nun dein Handy dabei oder nicht?«
    »Wo soll ich denn in diesem Kleid ein Handy unterbringen?«
    »Dann such jemanden, der eins hat, und ruf die Polizei«, sagte ich zu ihr. »Und bleib hier.«
    Sie rief mir etwas hinterher, doch ich achtete nicht darauf, sondern stürzte mich ins Gedränge und kämpfte mich durch das Meer aus trampelnden Füßen und erschrockenen Gesichtern bis nach vorn durch. Ashleys Stimme übertönte die Unruhe, heiser und schwer vor Tränen. »Es tut mir leid! Es tut mir so leid!«
    »Lasst mich durch!«, rief ich, doch die Einzigen, die noch einigermaßen bei Verstand waren, um mich zu verstehen, antworteten mit Beleidigungen, während sie mir entgegenstürmten und vergeblich nach einem Fluchtweg suchten. Ich kämpfte eine Weile gegen den Strom an und brach endlich durch, stolperte in den weiten freien Kreis, der sich rings um Ashley gebildet hatte. Lehrer, Schüler und Anstandsdamen drängelten sich mit angstgeweiteten Augen an den Wänden.
    »John, komm zurück!«, rief ein Lehrer. »Du bringst uns alle in Gefahr.«
    »Sie will uns gar nicht töten!«, rief ich zurück. Die nächsten Worte blieben mir fast im Hals stecken. »Es muss nicht passieren.«
    »Nein, ich will es gar nicht!«, rief Ashley mit brechender Stimme. »Ich schwöre, ich will es nicht!«
    »Ich weiß.« Ich ging langsam auf sie zu. »Ich weiß, dass du es nicht willst. Es ist die Frau, die dir die Bombe umgehängt hat.«
    »Welche Frau?«
    Ich hielt inne. »Die Frau, die dich gezwungen hat, es zu tun.«
    »Es war ein Mann«, rief sie, »ein einzelner Mann! Ich habe keine Frau gesehen.«
    Also doch. Sie hatte einen neuen Körper übernommen. »Schon gut«, sagte ich und tat einen weiteren Schritt auf sie zu. »Es war ein Mann. Was hat er zu dir gesagt?«
    »Bleib zurück!«, rief der Direktor. »Das ist gefährlich!«
    »Alles in Ordnung!«, rief ich zurück. »Ashley will niemandem etwas tun, und niemand wird Ashley etwas tun. Ist das richtig so?«
    Sie nickte, und ich ging noch näher auf sie zu. »Was hat er zu dir gesagt?«
    »Er sagte …« Sie musste schlucken, ehe sie weitersprechen konnte. »Er sagte, er wird auf den Knopf drücken und uns alle töten.«
    Es musste doch einen Ausweg geben. »Er wird uns alle töten – mehr hat er nicht gesagt?«, fragte ich.
    »Ich soll diesen Brief vorlesen.« Sie hob die Hände, mit denen sie ein Stück Papier festhielt.
    »Das ist gut.« Ich sah einen Hoffnungsschimmer und nickte. »Wenn wir uns etwas anhören sollen, tötet er uns nicht. Das wäre sinnlos. Wir müssen lebendig sein, damit wir die Botschaft erfahren.« Noch einmal nickte ich. »Tu einfach, was er gesagt hat. Lies vor!«
    Sie zitterte, das Papier knisterte in ihren Händen. »Warum hört mir niemand zu ?«, begann sie. »Ich habe mich bemüht, vernünftig zu sein. Ich habe versucht   …« Ashley schluckte schwer. »Ich habe versucht, höflich zu sein. Eure Stadt wird vom Bösen heimgesucht, das ich vernichten will, und doch stellt Ihr euch gegen mich.«
    War ich etwa das Böse, gegen das sie kämpfte? Die vier Morde erweckten aber eher den Eindruck, als wolle sie mich anlocken und nicht vertreiben. Das passte nicht zusammen.
    »Nachdem ich   …« Ashley schluchzte und blinzelte die Tränen weg.

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