Wells, ich will dich nicht töten
»Nachdem ich den … den großen Lügner getötet hatte, schickte ich einen Brief an die Zeitung, aber der wurde nicht abgedruckt. Nachdem ich den Pädophilen getötet hatte, rief ich sogar an, doch man wollte meine Lehren immer noch nicht verbreiten.«
Langsam dämmerte es mir: Es ging überhaupt nicht um mich. Das war weder ein Plan noch ein Trick oder so etwas. Dem Handlanger ging es in erster Linie darum, dass die Botschaft gehört wurde.
»Dies ist nun die letzte Warnung«, fuhr Ashley schluchzend fort. »Ihr habt meine Lehren verstanden und dennoch dagegen verstoßen. Ihr habt versucht, den Ehebrecher zu beschützen. Dennoch ließ ich Gnade walten und habe denjenigen getötet, der Euch in die Irre führte.« Ashley war in Tränen aufgelöst und brach ab. Ich ging wieder einen Schritt auf sie zu.
»Ist das alles?«, fragte ich sie. »Ashley, schau mich an!« Sie gehorchte, und ich erwiderte den Blick. »Er hat dir versprochen, dass dir nichts passiert, wenn du das vorliest«, sagte ich. »Du musst es ganz vorlesen.«
Sie nickte und las weiter. »Ich wollte diese unschuldigen Kinder nicht in Gefahr bringen, aber es war die einzige Möglichkeit, Euch zum Zuhören zu zwingen. Wandelt auf den Wegen des Herrn und weicht nicht davon ab. So sollt Ihr geläutert werden …« Sie unterbrach sich, hob noch einmal den Kopf. »… durch das Feuer.«
Schweigen herrschte im Saal, niemand wagte sich zu bewegen oder zu atmen, alle warteten darauf, dass etwas geschah. Eine Sekunde verstrich, die so lange dauerte wie eine Stunde. Es gab keine Explosion.
»War das alles?«, fragte ich.
»Ja.«
»Bist du sicher? Steht nichts weiter drin?«
»Das war alles, Wort für Wort, ehrlich!«
Ich ging einen weiteren Schritt auf sie zu. »Dann lass den Zettel fallen und dreh dich um.« Ich war nur noch zehn Schritte von ihr entfernt und näherte mich langsam. »Dreh dich einfach um, damit ich dir das Geschirr abnehmen kann.« Langsam und vorsichtig drehte sie sich, als rechne sie damit, jeden Moment in die Luft zu fliegen. Noch drei Schritte, noch zwei, noch ein Schritt. Das Geschirr war ein einfaches Gestell aus Riemen und Plastikschnallen, die ihr locker auf den Schultern und vor dem Oberkörper hingen. Er war nicht einmal festgezurrt worden. Vorsichtig untersuchte ich die erste Schnalle auf Drähte oder blanke Kontakte, entdeckte jedoch nichts und öffnete behutsam die Plastikverschlüsse, bis sich die Schnalle löste. Nichts geschah. Ich löste die nächste und noch eine weitere Schnalle, dann griff ich nach vorn und hielt die Sprengladungen fest, ehe ich die letzte Schnalle öffnete.
Da stimmt etwas nicht.
Ich verstand nicht viel von Sprengstoff, hatte aber genug Filme konsumiert, um zu wissen, wie ein Paket C4 aussah: im Grunde eine plastische Masse, wie ein Ziegelstein gepresst, in die man den Zünder steckte. Das hier sah völlig anders aus als erwartet. Ich wandte mich um, bis ich direkt vor Ashley stand und an die Pakete herankam.
»Was tust du da?«, fragte sie.
»Still.«
Ich hatte angenommen, die Unterschiede zwischen den Filmen und der Bombe, mit der Ashley ausgerüstet war, seien auf Ungenauigkeiten der Filmemacher zurückzuführen, doch nun erkannte ich, dass diese Erklärung nicht zutraf. Aus der Nähe wirkte Ashleys Ausrüstung völlig anders, fast wie handgemacht. Beinahe wie eine Attrappe. Ich fand eine Falte in der Papierhülle, packte zu und riss sie ab.
»Nein!«, rief Ashley, doch nichts geschah. Unter dem abgerissenen Papier kamen Holzstücke mit Sägespuren zum Vorschein, ich bemerkte sogar das rote Markenzeichen eines Sägewerks.
»Die sind aus Holz.« Ich riss auch das restliche Papier ab und fand überall das Gleiche: Holzklötze, die zugeschnitten und mit Papier umhüllt waren. Die Drähte, die bis zu ihnen verliefen, wurden von verborgenen Nägeln festgehalten. Es gab keinen Sprengstoff, keine Energiequelle und keine Zünder. Nur eine sorgfältig gebastelte Attrappe, die uns an Sprengstoff erinnern sollte, den wir aus Filmen kannten. »Das Ding ist nicht echt.«
Ashley zog sich sofort zurück, griff nach hinten und riss die letzte Schnalle auf. Dann nahm sie die falsche Bombe ab, hob sie hoch, schnitt eine Grimasse und warf sie zu Boden. Die Zuschauer keuchten erschrocken auf. Die Holzklötze polterten über den Marmor, es hallte laut unter der hohen Saaldecke. Nichts geschah.
Ich hielt Ashley am Arm fest und redete drängend auf sie ein. »Was hast du da draußen gesehen? Was ist
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