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Wells, ich will dich nicht töten

Wells, ich will dich nicht töten

Titel: Wells, ich will dich nicht töten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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passiert?«
    »Es war ein Mann.« Sie wollte sich mir entziehen, doch ich hielt sie fest wie ein Schraubstock. »Er hatte eine Pistole und zwang mich, die Weste anzuziehen, weil er sonst schießen würde. Dann sollte ich hier auftauchen und den Brief vorlesen, sonst würde er mich in die Luft jagen.«
    »Hast du ihn genau gesehen? Kannst du ihn beschreiben?«
    »Nein, nein!«, rief sie. »Es war dunkel, und ich konnte überhaupt nichts erkennen. Nur den Umriss. Er war klein, vielleicht einsfünfzig groß. Ich weiß nicht …«
    »Seine Stimme«, beharrte ich. »Beschreib seine Stimme.«
    »Er hat überhaupt nichts gesagt, es stand alles auf einem Zettel. Lass mich los!«
    Hinten kam die Menge in Bewegung, auch die Polizei war inzwischen eingetroffen. Als die Polizisten sich näherten und nach Sanitätern riefen, ließ ich Ashley los. Sie bugsierten Ashley und mich nach draußen. Andere Cops scheuchten die Besucher durch die Doppeltür hinaus. Ein Bombensuchtrupp stürmte an uns vorbei nach drinnen, doch ich schüttelte den Kopf. »Es war eine Attrappe!«, rief ich ihnen hinterher. »Er wollte überhaupt nichts in die Luft jagen.«
    Auf einmal legte mir jemand eine Hand auf die Schulter. Ich wandte mich um und sah Officer Jensen vor mir. Marci war bei ihm und eilte sofort an meine Seite. Ich schreckte zurück, weil ich Angst hatte, er wolle mich gleich töten, doch er hob eine durchsichtige Plastiktüte mit einer kleinen Pistole. »Er wollte auch niemanden erschießen. Das hier haben wir draußen gefunden, gleich da drüben. Absolut sauber, kein Magazin, keine Kugel in der Kammer.«
    »Hat er tatsächlich die Waffe zurückgelassen?«, fragte ich.
    »Wahrscheinlich wollte er, dass wir sie finden«, erklärte Officer Jensen. »Er scheint die Fingerabdrücke abgewischt und sie absichtlich so hingelegt zu haben, dass wir sie gleich finden.«
    Auf einmal war ich schrecklich müde und lehnte mich bei Marci an. »Er wollte uns sagen, dass er es wirklich ist. Ich gehe jede Wette ein, dass mit dieser Waffe alle vier Morde begangen wurden, aber Sie werden keine Hinweise auf den Täter finden.«
    Officer Jensen nickte. »Genau das dachte ich auch.« Er legte den Kopf schief. »Du bist ein guter Kriminalist.«
    Ich musterte ihn, schätzte ihn ein und versuchte, ihn mit Ashleys Beschreibung des Angreifers in Einklang zu bringen. Er war jedoch viel größer, als sie erwähnt hatte. Er konnte es nicht gewesen sein.
    Aber der Täter war ein Mann, so viel war sicher. Das bedeutete, dass Niemand entweder eine Gestaltwandlerin war, oder …
    … oder sie steckte überhaupt nicht dahinter.
    Völlig erschöpft sank ich in mich zusammen. Marci fing mich auf und führte mich zur Wiese vor dem Rathaus.
    »Du musst dich hinsetzen«, sagte sie. »Gleich lässt der Adrenalinschub nach, und da solltest du lieber nicht stehen.«
    »Mir geht es gut«, widersprach ich, ließ mich aber trotzdem zu einer Bank führen. Es war dunkel, die Einsatzlichter von einem Dutzend Streifenwagen und Feuerwehrautos zuckten durch die Nacht, auf den Gehwegen sammelten sich die verschreckten Schüler. Marci nahm meine zitternden Hände, zog sie auf ihren Schoß und hielt sie fest.
    »Er hat kein Wort gesagt«, berichtete ich ihr. »Er hat Ashley nur einen Zettel gegeben. Das bedeutet, dass er entweder nicht sprechen kann oder aus irgendeinem Grund nicht sprechen will.«
    »Du bist wahnsinnig«, schimpfte sie. »Du hättest umkommen können, ist dir das überhaupt klar?«
    »Das ist wichtig«, fuhr ich fort. »Bisher hat sich keins der Opfer gegen den Handlanger gewehrt. Also gewinnt er ihr Vertrauen, und daraus ist zu schließen, dass er mit ziemlicher Sicherheit reden kann. Warum hat er mit den anderen gesprochen, aber nicht mit Ashley?«
    »Hör doch mal auf damit«, sagte Marci. »Nur einen Abend lang.«
    »Nein.« Ich erwiderte ihren Blick. »Er hat uns gerade mitgeteilt, dass er weiter töten will, und uns außerdem gezeigt, dass unser Profil zum größten Teil Müll ist. Wir können es nicht einfach auf sich beruhen lassen, wir müssen ihn durchschauen. Ihn oder sie. Nicht einmal das wissen wir genau.«
    Marci streichelte mir die Wange und zauste mir die Haare. Auf einmal konnte ich an nichts anderes mehr denken.
    »Du bist ein Held«, sagte sie, »aber auch Helden brauchen ab und zu mal eine Pause.«
    »Vielleicht hat er …« Was wollte ich sagen? »Ah, äh, eine Sprachstörung. Wie der Trailside-Killer. Aber es ist wahrscheinlich keine, äh, keine echte

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