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Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Titel: Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Ena-ina-yin hatte er noch nichts erfahren.
    Fünf Tage waren dahin, und der letzte Abend kam, ehe der Sohn wieder in das Schulgefängnis gehen mußte. Er war noch einmal in die Prärie hinausgeritten. Ena stand am Zeltausgang und schaute nach Osten, wo es schon dunkelte. Der letzte der fünf Tage, die der Heimgekehrte bei ihr sein konnte, war bin feierlicher Tag für sie; sie hatte über Rock und Bluse den großen Schal umgelegt und um die Stirn das Band genommen, auf das die Zeichen des heiligen Stufenberges gestickt waren, nicht mit den Perlen der weißen Männer, sondern mit den gespalteten Borsten des Stachelschweins wie von alters her. Sie schaute in den Abend mit dem Blick, mit dem sie 17 Jahre geschaut und gewartet hatte. Es war keine Frage mehr darin und keine Hoffnung, nur ein großes Sterben und ein großes Verwundern; und niemand mochte etwas sagen, wenn er in die Augen Enas gesehen hatte.
    Vor dem dunkelnden Himmel, zwischen den im Dämmer schwimmenden Wellen der Prärie tauchte der rückkehrende Reiter auf; leise klopften die Hufe im Galopp über den Wiesenboden. Er hielt an, sprang ab, versorgte das Pferd und kam zum Zelt. Das Feuer glühte unter der Asche; Fleischstreifen hingen am Spieß und rösteten; der Sohn setzte sich und aß die letzte, die schmackhafte Mahlzeit. Danach ging er wieder hinaus und trank die Luft der Prärie, den Wind, der weither kam und rein war, und den Duft von Kiefernharz und vertrocknetem Gras. Da er der Mutter winkte, mit ihm zu kommen, gingen sie miteinander auf den Hügel hinauf. Sie schauten gegen Westen, wo die Sonne in Blutfarbe und heiligem Gelb ihr Leben verströmte. Es war die Sonne der Prärie und der Wüste ihrer Kinder. Die Mutter nannte ihren Sohn zum erstenmal mit seinem wahren Namen: »Wasescha.« Das hieß Rot, rote Zeichen für das Antlitz des Kriegers, es hieß Blut, Leben und Tod zugleich. Sie hatte den Namen 17 Jahre hindurch nicht mehr zu denken gewagt, ihr Sohn hieß Mnisol iyaya – der ging und nicht wiederkam. Aber nun war er da, die Krankheit der weißen Männer hatte ihn verlassen, und sie hatte den Namen Wasescha gesagt. Er antwortete ihr, als ob er einen Befehl empfangen habe: »Ho-je«, ja, so, wie du es wünschst.
    Seine Mutter war für ihn eine Geheimnisfrau geblieben, die mehr wußte, als er bei den weißen Männern hatte lernen können. Er achtete sie. Ihr Körper war mager und verkümmert, aber ihre Seele war noch lebendig. Sie hatte ihn angesehen, sie hatte nichts gefragt und um nichts gebeten, aber sie nannte ihn mit seinem wahren Namen, nachdem sie ihn wiedererkannt hatte. Sie schliefen noch einmal in dem Zelt, das die Urahnen gebaut hatten, unter der Haut des Büffels, unter den Zeichen großer Taten. Als es noch finster, aber Mitternacht schon drei Stunden vorüber war, machte sich Wasescha, den die weißen Männer Hugh Mahan nannten, auf den Weg. Die Mutter gab ihm ein Stirnband mit dem Zeichen des Donnervogels und des Tipi mit, Zeichen des Zeltes, der Heimat, des Mutterschoßes. Er nahm kein Pferd, sondern ging zu Fuß, schnell, mit großen leichten Schritten, ohne sich noch einmal umzusehen. Er wählte den Weg über den Hügel westwärts, und die Mutter ging ihm langsam nach bis zur Kuppe; da blieb sie stehen und schaute ihm noch nach, und sie stand und schaute, bis die Sonne aufging und sie von hinten mit ihren Strahlen packte, wärmte, umleuchtete und mit ihrem hart und lebendig gewordenen Licht die Träume auflöste. Da erst kehrte Hetkala um, nahm sich das eine ihrer Pferde und ritt ostwärts, um Wasser zu holen. Ihr Weg führte an dem Sumpfloch vorbei, das zwei ihrer Kinder verschlungen hatte. Doch es war Tag, und die Lichter tanzten nicht.
    Heyoka, der Schelmengeist, huschte um die Kiefern, als Hetkala mit dem gefüllten Wassersack zurückkehrte. Er war ein kleiner Kerl, der alles umkehrte, im Winter ging er nackt, im Sommer trug er seinen Mantel. Heute wußte er wohl nicht, ob noch Sommer oder schon Winter sei, und schlug seinen Mantel auf und zu. Er will ein Lächeln in meine Augen zaubern, obgleich ich traurig bin, dachte Hetkala. Sie dankte ihm, indem sie freundlich nach ihm schaute, und Heyoka verschwand; er hatte sein Werk getan. Ein Eichhörnchen sprang und kletterte an der Kiefer hinauf.
     
    Am folgenden Morgen, um 7 Uhr 30 stand Hugh Mahan, dessen wahren Namen kein weißer Mann kannte, vor Rektor Snider und seinem Schreibtisch. Ihm zur Seite stand Evelyn Hay; sie reichte ihm nicht bis zur Schulter. Hugh Mahan trug

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