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Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg

Titel: Welskopf-Henrich, Liselotte - Das Blut des Adlers 4 - Der siebenstufige Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Essen anzusehen. Ein jeder achtete auf seine Kinder, die sich gleich ihren Lehrern verhielten und so taten, als interessiere sie nichts als die Bulette aus Büffelfleisch und als sei ihnen nichts anderes zuwider als der Zwang, das Glas Milch auszutrinken.
    In Wahrheit hatten die beiden Erzieher schon genauere Kenntnis voneinander genommen, als irgend jemand im Saal vermuten konnte. Die unsichtbaren Wellen der Gedanken und Sympathien spielten. Auch Ron Warrior war ein Indianer, groß und sehr schlank, elastisch in der Bewegung wie Hugh. Sein Gesicht war anders gebildet, die Nase nicht gebogen, sondern gerade, sein Gesichtsausdruck war lebhafter, eine beweglichere Maske als die Mahans. Er trug die Haare lang bis in den Nacken und hatte ein rotes Tuch um die Stirn gebunden. Sein Hemd war knallbunt.
    Als Kinder und Lehrer ihr abgegessenes Geschirr an die Ausgabe zurückbrachten und die Ordner des Tages alle Tische prüften und säuberten, trafen sich die beiden indianischen Erzieher zu einem leisen Gespräch.
    »Ich muß Ihnen meine beiden besten Beginner abgeben«, sagte Ron. »Damit Sie Vorbilder in der Gruppe haben, die Ihre Sitzenbleiber beschämen und anspornen. Die Zwillinge, den Jungen und das Mädchen. Sie haben sie an unserem Tisch gesehen. Snider hat das so bestimmt.«
    »Nonsens«, antwortete Hugh. »Typischer Unsinn. Aber wir werden darüber wegkommen.«
    Um Rons Mundwinkel spielte Einverständnis. Er öffnete die Lippen noch einmal, als ob er etwas hinzufügen wolle, schloß sie wieder und sprach dann doch, aber mit völlig anderem Tonfall, so daß Hugh aufhorchte.
    »Mahan, wir beide sind Indianer, die einzigen Indianer im Kollegium. Snider und Carr werden versuchen, uns mitverantwortlich zu machen, wenn es ausbricht. Ich stamme aus Florida, aber Sie sind hier auf der Reservation geboren, man wird Sie speziell verdächtigen. Passen Sie auf.«
    Hugh Mahan hatte seine Augen auch gegen Ron Warrior noch verdeckt wie gegen einen weißen Mann. Er fragte nicht, was »es« bedeuten solle oder was ausbrechen werde. Aber Ron kannte die Frage, die nicht ausgesprochen wurde. »Ich weiß es auch nicht«, sagte er. »Unter den Schülern geht etwas vor, aber sie verbergen ihr Geheimnis.«
    Die Gesprächsmöglichkeit war abgelaufen, abgeschnitten. Sniders Blick hatte die beiden Indianer getroffen. Es war Zeit, die Kinder auf den Vorplatz vor die Schule zu führen, wo sie sprechen und spielen konnten.
    Hugh Mahan ging langsam um den Spielplatz herum. Er befand sich in der Lage eines Fisches, der in einem fremden Teich seine Umgebung beobachtet. Er ging um den Platz herum, kam zu dem unnützen Staubecken und umkreiste auch dieses. Der Wasserspiegel war tief gesunken, die Oberfläche mit Grün überzogen; Mücken und Libellen flogen, und das Wasser stank noch, obgleich die Jahreszeit zum Herbst fortgeschritten war. Am Rande des Beckens standen zwei der älteren Schüler, ein Junge und ein Mädchen, sie mochten vierzehn oder fünfzehn Jahre sein. Das Mädchen war zartgliederig; sie hatte den Kopf tief gesenkt, und der Herbstschatten lag über ihrem Gesicht. Sie stand da wie ein junger Baum, dessen Krone abgebrochen ist und sich nicht mehr zum Licht heben kann. Der Junge neben ihr sagte nichts; auch er rührte sich nicht. Sein Blick hatte sich an der grün überzogenen Wasserfläche festgeheftet, und er mußte den üblen Duft des Wassers riechen, das sich selbst zum Ekel war. Lang aufgeschossen, etwas gebückt war seine Gestalt; seine Züge waren die eines grübelnden und stark empfindenden jungen Menschen; er mußte schon mehr erfahren und gedacht haben als andere.
    Die Klingel schrillte zum Beginn des Nachmittagsunterrichts. Mahans Zöglinge fanden sich zusammen. Der große Junge und das Mädchen kamen vom Staubecken herbei und gesellten sich zu ihrer Klasse. Der Klassenlehrer war ein weißer Mann, aber er schalt die beiden nicht, daß sie langsam gewesen seien. Hugh hatte das Gesicht des Jungen und das des Mädchens noch einmal gesehen. Er konnte die beiden bis in die Nacht hinein nicht vergessen. Die beiden Gesichter begleiteten ihn wie Gesichte, während er mit seinen vierzehn Kindern sanft sprach und ihnen Buchstaben und Worte an die Tafel schrieb; die Gesichter begleiteten ihn, als er nach dem Unterricht mit den Jungen und Mädchen des Internats Basketball spielte; sie ließen ihn des Nachts nicht los, als er auf seiner Matratze lag, allein im schmucklosen Viererzimmer. Wie ein Nebelbild stand hinter dem von Grübeln

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