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Welt im Fels

Welt im Fels

Titel: Welt im Fels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Harrison
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Rücken.«
    Ihre Stimme klang besorgt. »Es ist nicht gut, draußen zu schlafen, alle Leute schlafen im Haus.«
    »Nur eine kleine Weile. Später komme ich hinein.«
    Sie schwieg. Er lag auf der Seite und beobachtete die im Bogen über ihm dahinziehenden Sterne, und der Schlaf wollte sich nicht einstellen.
    Er überdachte seinen Plan noch einmal Schritt für Schritt und fand keinen Fehler. Oder vielmehr nur einen Fehler – daß gerade ein Priester vorbeigekommen war und ihn gesehen hatte. Sonst war sein Plan einwandfrei gewesen, sogar das Gesetz, das ihm das Besteigen der Wand erlaubte, war so, wie er es in der Erinnerung hatte. Und die Geier flogen tatsächlich immer zu derselben Stelle in der Felswand. Tag für Tag. Und es hatte ihn schon immer brennend interessiert, warum. Es hatte ihn geplagt, daß er den Grund nicht kannte, und so hatte er am Ende seinen Plan gemacht. Schließlich – war der Geier nicht sein Stammessymbol? Er hatte ein Recht, alles über sie zu wissen.
    Er hatte andere Fragen gehabt, aber er hatte schon vor vielen Jahren aufgehört, nach den Dingen zu fragen. Denn wenn es auf die Fragen keine einfachen Antworten gab, die die Leute wußten, oder Antworten aus den heiligen Büchern, die die Priester wußten, machte es die Leute nur böse. Deshalb mußte er sich die Antworten selbst suchen, wie in dieser Sache mit den Geiern.
    Es hatte ihm keine Ruhe gelassen. Geier fraßen Aas, das wußte jeder, und er selbst hatte gesehen, wie sie die Kadaver von Gürteltieren oder Vögeln zerrissen. Sie nisteten im Sand, legten ihre Eier, zogen ihre häßlichen Jungen hier auf. Das war alles, mehr gab es über sie nicht zu erfahren.
    Aber – warum flogen sie immer zu der bewußten Stelle in der Felswand? Sein Ärger darüber, daß er es nicht wußte, wurde durch die eben erlittenen Schmerzen noch aufgestachelt. Er stand auf und ballte die Fäuste in der Dunkelheit. Dann schlich er zwischen den Häusern des schlafenden Dorfes Quilapa davon. Am Rand der Wüste hielt er an, blickte nach der dunklen Felsbarriere und fröstelte. Sollte er jetzt dorthin gehen – und aufsteigen? Seine Beine antworteten für ihn; sie trugen ihn vorwärts. Das Mesquite-Gestrüpp zerrte an seinen Beinen, als er den Pfad verließ und durch die hohen Kakteengruppen ging. Am Agavenfeld kam er dann leichter voran und lief zwischen den geraden Reihen der Pflanzen durch bis zum Fuß der Felswand.
    Erst als er dort angekommen war, merkte er, wie groß seine Angst war. Er sah sich um, aber es war ihm niemand gefolgt. Schnell, bevor er sich noch mehr Sorgen machen und einen Grund zur Umkehr finden konnte, sprang er die Felswand an, bis seine Finger in einem horizontalen Riß Halt fanden. Dann zog er sich hoch.
    Als er erst unterwegs war, ging es leichter. Er mußte sich darauf konzentrieren, für Hände und Füße Halt zu finden, und es blieb ihm wenig Zeit zum Nachdenken.
    Dicht unter dem Sims hielt Chimal inne und ruhte sich aus, die Fußspitzen in eine Spalte gestemmt. Über sich hatte er einen Überhang, an dem es kein Vorbeikommen zu geben schien. Als er die schwarzen Felsen gegen den Sternhimmel absuchte, wanderte sein Blick über das Tal. Es wurde ihm mit Schrecken bewußt, wie hoch er schon geklettert war. Unter ihm breitete sich der dunkle Talgrund mit dem Dorf Quilapa aus, dahinter der tiefe Einschnitt des Flusses. Er erkannte sogar das Dorf Zaachila und die Talwand auf der anderen Seite. Die andere Seite war tabu – Coatlicue ging nachts am Fluß auf und ab, und schon der Anblick ihrer zwei Schlangenköpfe genügte, um einen auf der Stelle zu töten und in die Unterwelt zu schicken. Er erschauerte und wandte sein Gesicht den Felsen zu.
    Er konnte nicht sagen, wie lange er so dort gehangen hatte. Er hatte jetzt nur den Wunsch, sicher auf den Grund zurückzukehren, der so schrecklich tief unter ihm lag, und nur sein noch immer nicht verlöschter Zorn hielt ihn davon ab. Er würde absteigen, aber zuerst würde er feststellen, wie weit sich der Überhang hinzog. Als er sich um eine scharfkantige Felsnadel herumgearbeitet hatte, sah er, daß der Überhang sich über die ganze Länge der Felswand erstreckte – aber ein großes Stück war aus der Kante herausgebrochen. Es gab einen Weg nach oben. Er krallte sich mit den Fingern fest und zog sich über die Schräge hoch, bis sein Kopf über den Sims ragte.
    Etwas Schwarzes flog ihm entgegen, schlug an seinen Kopf an und hüllte ihn in eine Wolke widerlichen Gestanks. In wahnsinniger Angst

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