Welt im Fels
er dieselben Spalten und Vorsprünge genutzt wie damals als Junge, er wußte es nicht. Als er sich endlich über die Kante auf den Sims hochzog, konnte er sich kaum mehr bewegen. Sich mit den Beinen abstoßend, kroch er durch den nassen Vogelkot auf dem Sims nach hinten zu der flachen Höhle neben der Tür. Er mußte sich ein Versteck auf der einen Seite suchen, wo er durch das verborgene Guckloch nicht gesehen werden konnte, doch dicht genug, um anzugreifen, wenn jemand kam. Er kroch hinüber, setzte sich auf und lehnte sich mit dem Rücken an den Fels.
Wenn sie nicht bald kamen, war alles aus. Der Aufstieg hatte ihn zuviel Kraft gekostet, und er konnte sich kaum noch bei Bewußtsein halten. Doch er mußte. Er mußte wach sein und auf dem Sprung, um anzugreifen, sobald jemand die Tür öffnete, um die Geier zu füttern. Dann mußte er eindringen, angreifen, siegen. Aber er war so müde. Wenn er jetzt ein wenig schliefe, würde er vielleicht ausgeruht sein, wenn sich die Tür öffnete. Das würde sicher erst in einigen Stunden sein, vielleicht erst morgen.
Er hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, als er einen Luftzug spürte, die Tür ging auf.
Vor Überraschung und Müdigkeit machte er nur eine schwache Bewegung mit der Hand, als eine Gestalt durch die Tür trat und vor ihm stehen blieb. Er starrte sie aus blutunterlaufenen Augen an, unfähig sich zu rühren. Es war Wachmann Steel.
»Was ist geschehen?« fragte sie. »Du mußt mir erzählen, was geschehen ist.«
»Wie hast du mich gefunden … dein Bildschirm?«
»Ja. Wir sehen merkwürdige Dinge im Tal, wir hörten Gerüchte. Niemand scheint Genaues zu wissen. Du wurdest vermißt, dann hörte ich, du seist irgendwo im Tal. Ich suchte an allen Beobachtungspunkten, bis ich dich fand. Was geht vor? Sag es mir bitte! Niemand von uns weiß etwas, und es ist … schrecklich …!« Ihr Gesicht war starr vor Angst.
»Was weißt du denn?« fragte er, als sie ihn in die Höhle führte und ihm in den Wagen half. Nachdem sie die Fütterungstür geschlossen hatte, nahm sie einen kleinen Behälter von ihrem Gürtel und reichte ihn Chimal.
»Tee«, sagte sie. »Du hast ihn immer gern getrunken.« Dann befiel sie wieder die Angst vor dem Unbekannten, als sie daran dachte, was geschehen war. »Ich habe dich nie wieder gesehen. Du zeigtest mir die Sterne und sprachst darüber und riefst immer, daß wir an Proxima Centauri vorbei seien und umkehren müßten. Dann kehrten wir dorthin zurück, wo wir wieder Gewicht hatten, und dann hast du mich alleingelassen. Das ist nun Tage her, viele Tage, und es hat Schwierigkeiten gegeben. Der Chefobservator sagt uns bei den Andachten, daß das Böse durch die Gänge schleiche, aber er will uns nicht sagen, was es ist. Er beantwortet keine Fragen über dich – es ist, als ob du nie existiert hättest. Es hat Alarme gegeben, merkwürdige Dinge sind geschehen, zwei Personen sind zusammengebrochen und gestorben. Vier Mädchen sind im Lazarett, sie können nicht mehr arbeiten, und wir müssen alle zusätzlichen Schichten übernehmen. Nichts ist mehr in Ordnung. Als ich dich im Tal sah, dachte ich, daß du vielleicht alles wüßtest. Und du bist verletzt!« rief sie und fuhr erschrocken zurück, als sie das Blut sah, das durch sein Hemd sickerte.
»Das passierte vor Tagen. Ich bin behandelt worden. Aber der Ausflug heute hat mir nicht gutgetan. Hast du irgendwelche Medikamente bei dir?«
»Die Erste-Hilfe-Packung, die müssen wir immer bei uns tragen.« Sie zog sie aus der Tasche und hielt sie ihm mit zitternden Fingern hin. Er öffnete sie und las das Inhaltsverzeichnis.
»Sehr gut.« Er öffnete sein Gewand, und sie drehte sich schamhaft um. »Binden, Antiseptika, Schmerztabletten«, las er laut. »Das ist alles sehr nützlich.« Er sah sie an und lächelte: »Ich werde es dir erzählen, wenn du wieder hersehen kannst.« Sie biß sich auf die Lippen und nickte mit geschlossenen Augen.
»Mir scheint, euer Chefobservator hat einen schweren Fehler gemacht, als er euch nicht erzählte, was geschehen ist.« Er wollte seine Geschichte nur zum Teil erzählen. Es gab einige Dinge, die sie lieber nicht wissen sollte, aber er wollte ihr im wesentlichen die Wahrheit sagen. »Was ich dir sagte, als wir nach den Sternen sahen, war richtig. Wir sind am System Proxima Centauri vorbeigeflogen. Ich weiß das, weil ich die Navigationsinstrumente gefunden habe, die es mir gesagt haben. Ich ging mit meinen Informationen zum Chefobservator, und
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