WELTEN-NEBEL
richtige Platz für ihn war. Sollte er wirklich den Sturm überlebt haben, um nun sein Leben als Bauer zu verbringen? War dies der Plan der Götter gewesen?
In ruhigen Momenten konnte er bisweilen jene fremde Präsenz spüren. Eines Abends fand er den Mut, sich auf diese Macht einzulassen, die Zugang zu seinem Geist suchte. Er wehrte sich nicht länger gegen das Eindringen.
Jahr 3637 Mond 5 Tag 20
Hort der Bewahrerin, Martul
Mehr aus Gewohnheit denn aus Hoffnung auf Erfolg versuchte sie, Kontakt zu Btols Geist herzustellen. Eigentlich war es eine Verschwendung an Zeit und Energie. Innerhalb der letzten Monde war es ihr kaum noch gelungen, auch nur einzelne Bilder zu empfangen. Die wenigen Male, die es ihr geglückt war, waren kaum aufschlussreich gewesen. Es war Ewen nicht möglich, sich eine Vorstellung von Btols Aufenthaltsort zu machen. Bisweilen zweifelte sie sogar daran, noch immer in Geist jenes jungen Mannes zu weilen, so sehr unterschieden sich die Bilder von jenen, die sie zuvor empfangen hatte. Einmal hatte sie eine große Wasserfläche gesehen, ein anderes Mal ein Feld. Auch glaubte sie, einen Mann erblickt zu haben, dessen Erscheinung ihn als einen Einwohner Martuls auswies. Entweder sie hatte sich getäuscht, oder es waren nicht Btols Augen, durch die sie dieses Bild betrachtet hatte. Es war natürlich ausgeschlossen, dass sich der junge Mann in Martul aufhielt, der Nebel machte ein Eindringen unmöglich.
Einiges sprach dafür, dass es ein anderer als Btols Geist war, dem sie die flüchtigen Bilder verdankte; nicht nur die Bilder, die sie an ihr Heimatland erinnerten, sondern auch jener Traum vor über drei Monden. Als sie sich von dem Schreck erholt hatte, hatte sie gründlich darüber nachgedacht. Sie hielt es für möglich, gar für wahrscheinlich, dass sie damals Zeugin von Btols Tod durch Ertrinken gewesen war.
Trotz allem, die wenigen Momente der geistigen Verbindung, die ihr seither vergönnt gewesen waren, sie hatten sich so vertraut angefühlt. Ihr Instinkt sagte ihr, dass es weiterhin Verbindungen zu Btol waren.
Wie gewöhnlich verwendete sie auch diesmal all ihre Konzentration auf den Aufbau der Verbindung, um wenigstens einen kurzen Blick zu erhaschen. Sie war darauf gefasst, auf die wohlvertraute Barriere zu stoßen, die die Verbindung innerhalb kürzester Zeit zunichtemachte. Diesmal aber geschah etwas Unerwartetes: Die Barriere gab nach. Ohne große Anstrengung gelang ihr eine stabile Verbindung mit dem fremden Geist, sie konnte sehen, was er sah, hören, was er hörte. Und sie konnte Gefühle wahrnehmen, deutlich und stark. Jetzt war sie sich sicher, es war Btol. Sie konnte die ihm eigene Rastlosigkeit spüren. Wo immer er auch war, er war im Begriff, diesen Ort zu verlassen.
Als sie die Überraschung überwunden hatte, richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf das, was sie sehen und hören konnte. Offensichtlich befand sich Btol in einem Gebäude, dessen Inneres nur spärlich mit einigen Kerzen beleuchtet war. Trotz der Dunkelheit konnte sie einen anderen Mann ausmachen, der Btol am Tisch gegenübersaß. Sein Gesicht war durch eine Kerze erhellt und so konnte sie zweifelsfrei erkenne, dass es sich um einen Martuler handelte. Hätte sie noch Zweifel gehabt, so wären diese durch das Gespräch ausgeräumt worden, das die Männer führten, denn sie unterhielten sich in ihrer Muttersprache. Erstmals konnte sie verstehen, was Btol sagte. Die beiden sprachen über Martul, seine Dörfer, Flüsse, Berge. Btol stellte viele Fragen, die der Mann ihm geduldig beantwortete. Das Gespräch dauerte eine ganze Weile, ohne dass Ewen etwas erfuhr, was sie nicht ohnehin schon wusste. Sie dachte darüber nach, was es wohl bedeutete, dass Btol hier in Martul weilte. Wenn sie ihn doch nur fragen könnte. Doch ihr blieb nichts als die Rolle der Beobachterin. Die Verbindung riss ab und Ewen war allein in ihrer Schlafkammer.
Sie hatte viel, worüber sie nun nachdenken musste. Wie hatte Btol es geschafft, den Nebel zu durchqueren? War er der Einzige, dem dies geglückt war? Warum war er hier? War es vielleicht ihretwegen? War dies der Grund dafür, dass sie nun schon seit über siebzehn Monden an seinem Leben teilhaben durfte?
Jetzt, da Btol in erreichbarer Entfernung war, musste sie sich ernsthaft damit auseinandersetzen, was das für sie bedeutete. Erwarteten die Götter von ihr, dass sie ihn aufsuchte? Oder sollte sie einfach darauf warten, dass er zu ihr käme? Sollten sie einander überhaupt
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