WELTEN-NEBEL
sicher. Woher er diese Gewissheit nahm, vermochte er nicht zu sagen, doch angesichts dessen wollte er nichts ungesagt lassen.
Lange rang er um die richtigen Worte, verwarf und schrieb neu. Das Resultat waren nicht ein, sondern zwei Briefe. Den ersten würde er seinen Eltern kurz vor seiner Abreise geben. Darin dankte er ihnen für alles, was sie für ihn getan hatten, für all die Liebe, die er hatte erfahren dürfen. Auch brachte er seine Liebe und Wertschätzung für sie zum Ausdruck. Außerdem entschuldigte er sich nochmals für den Kummer, den er ihnen bereitet hatte.
Den zweiten Brief jedoch würden sie, sollte sich seine Reise nach Cytria entsprechend der Pläne entwickeln, nie erhalten. Er würde das Schriftstück seinem Kammerdiener in Verwahrung geben, mit der Anweisung, es seinen Eltern nur auszuhändigen, wenn ihm, Btol, etwas zustoßen sollte. Er wusste, dass die Zeilen seinen Eltern in diesem Falle kaum ein Trost sein würden, doch vielleicht eine Erklärung.
Meine lieben Eltern,
wenn ihr diesen Brief erhaltet, so ist etwas geschehen, was ihr nicht für mich geplant hattet. Was dies sein wird, vermag ich weder vorherzusagen noch zu beeinflussen.
Ich schreibe diese Zeilen, da mein Geist entgegen meinen Behauptungen nicht frei von fremden Einflüssen ist. Wie damals in der Wüste verspüre ich auch in diesen Tagen bisweilen etwas Fremdes in mir. Auch wenn es schwach und nicht greifbar ist, so spüre ich doch, dass es mein Leben zu beeinflussen sucht. Bitte verzeiht, dass ich es euch verschwieg, doch ich wollte euch nicht ängstigen.
Die Tatsache, dass ihr diesen Brief nun in den Händen haltet, spricht dafür, dass meine Vorahnungen eingetreten sind. Was immer auch geschehen sein mag, es geschah nicht ohne Grund. Möglicherweise ist es Teil eines göttlichen Plans. Vielleicht ist mir eine Aufgabe zuteilgeworden. Wenn dem so ist, so werde ich alles daran setzen, diese zu erfüllen und dann wohlbehalten zu euch zurückzukehren. Sollte dies unmöglich sein, so seid versichert, dass ich euch dennoch voller Liebe und Dankbarkeit in meinem Herzen trage.
Euer euch liebender Sohn,
Btol
Er versiegelte den Brief und übergab ihm dem Diener mit entsprechenden Instruktionen. Er kannte den Mann schon lange und wusste, dass er ihm vertrauen konnte.
Jahr 3637 Mond 2 Tag 12
Vor der Westküste Helwas
Nach einem Zwischenhalt im Hafen von Kin, wo sie Glaswaren an Bord nahmen, umsegelten sie nun das Westspitzen-Gebirge. Er stand an Deck und beobachtete, wie die hohen Berge vorüberglitten. Eine Weile noch würde die Küste Helwas als Orientierung dienen, bevor sie Kurs aufs offene Meer und Cytria setzen würden. Der Abschied von seinen Eltern lag nun schon einige Tage zurück und er begann, sich an das Leben an Bord des Schiffes zu gewöhnen. Als er das letzte Mal an Bord eines Schiffes gewesen war, war er noch ein Kleinkind gewesen. Daher war anfangs alles neu und aufregend gewesen. Nachdem sich dies nun gelegt hatte, stellte sich Langeweile ein. Zwar hatte man ihm einen erfahrenen Botschafter zur Seite gestellt, der schon viel Zeit in Cytria verbracht hatte und daher damit betraut worden war, den jungen Prinzen während der Überfahrt weiter zu unterrichten, doch dies nahm nur einen kleinen Teil des Tages in Anspruch. Die restliche Zeit stand ihm zur freien Verfügung und es fiel ihm schwer, sie zu füllen. Noch konnte er sich die Zeit vertreiben, indem er zur Küste hinüberschaute, doch sobald sie auf dem offenen Meer wären, musste er auch darauf verzichten. Schon jetzt wusste er bisweilen nicht, wie er die Zeit herumbringen sollte.
Jahr 3637 Mond 2 Tag 14
Auf dem Meer
Ein rauer Wind hatte sich zum Sturm gesteigert und das Schiff auf das offene Meer getrieben, die Küste Helwas war schnell außer Sicht gekommen. Btol wusste nicht, wie ihm geschah. Ängstlich, aber auch fasziniert beobachtete er die Seeleute, wie sie alles versuchten, das stark schwankende Schiff zu stabilisieren und wieder auf Kurs zu bringen. Er war so gebannt von der Kraft der Elemente, dass er gar nicht daran dachte, sich unter Deck in Sicherheit zu bringen.
Der Sturm nahm an Stärke zu und Welle um Welle schlug über dem Schiff zusammen. Das Tau, an dem er sich festgehalten hatte, entglitt seinen Händen, und bevor er neuen Halt fand, wurde er von einer Welle erfasst und von Bord gespült. Sofort war ihm klar, dass dies seinen Tod bedeutete. An Rettung aus den tosenden Fluten konnte er nicht hoffen und schwimmen
Weitere Kostenlose Bücher